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Januar 2021

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Mittwoch, 30. September 2009

besondere maßnahmen II – absagen einstecken



ende september: ein heiterer, sonniger tag – und dann die schmach im briefkasten! der gefürchtete große umschlag vom potentiellen arbeitgeber meines vertrauens. mit all meinen unterlagen drin und einem kurzen anschreiben: „.... müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass wir das aufgabengebiet an eine mitbewerberin vergeben werden ....“

dieser satz an sich ist schon etwas seltsam und ich grüble lange nach über die darin verborgene bedeutung. man wird also das aufgabengebiet erst später vergeben. wieso kriege ich dann jetzt schon eine absage? ist es nun entschieden oder nicht? ist es eine rücksendung meiner bewerbung vorab mit der botschaft „wir nehmen lieber irgendeine andere, aber Sie auf gar keinen fall?“ oder ist es ungeschicktes verwaltungsdeutsch und sagt das übliche „wir haben uns für eine mitbewerberin entschieden, aber die tinte unter dem vertrag ist noch nicht ganz trocken"?

fünf wochen haben sie sich dafür zeit gelassen, und ich hatte schon längst befürchtet, dass es – wieder einmal – eine absage wird. meine erfahrung sagt, dass einladungen zum vorstellungsgespräch immer ganz schnell kommen, meistens postwendend. entweder sie wollen eine oder sie wollen eine nicht.

diesmal wollten sie mich – mal wieder – nicht, und ich frage mich natürlich – mal wieder -, ob es an mir liegt? was habe ich diesmal falsch gemacht? zuviel geschrieben? zu wenig? das falsche? das falsche bild ausgewählt für die beworbene stelle? zu bunt? zu schwarzweiß? bin ich zu alt? nicht flexibel genug? zu progressiv? nicht kreativ genug? zu kinderlos? zu unverheiratet?

einzig 'zu sehr frau' war ich dieses mal nicht, denn man verweist explizit auf eine bevorzugte mitbewerberin. das beruhigt mich fast ein bißchen.

ich gebe mir große mühe, auch diese absage nicht allzu persönlich zu nehmen. schließlich war sie mehrfach gegengelesen und immer nur gelobt worden. freundInnen und bekannte reagieren jetzt solidarisch mit mir: „die wissen ja gar nicht, was ihnen entgeht, wenn sie dich nicht einstellen“; „diese dummköpfe!“; „das ist wirklich nicht zu fassen bei der enormen bandbreite deiner fähigkeiten und qualifikationen.“

nun ja. das tröstet ein bißchen, aber es macht die situation nicht besser. fakt ist, dass ich wieder einmal vergeblich mir viel arbeit und mühe gemacht habe, vergeblich viel zeit und mühen auch anderer menschen beansprucht habe, vergeblich gehofft habe, dem apparat hartz4 doch noch ein schnippchen zu schlagen und diese entwürdigende situation der amtsabhängigkeit endlich beenden zu können.

die demütigende perspektivlosigkeit macht mir die größten seelischen schwierigkeiten. ich lebe in einer prekären mischung von aggression und depression. zähneknirschender hass und verheulte verzweiflung wechseln sich ab. früher war ich mal ein neugieriges, humorvolles, zuversichtliches wesen. ich habe gern gelacht und hatte vor kaum etwas angst. heutzutage ist in meinem synaptischen spalt für positives kaum noch platz, so sehr haben sich die negativen gefühle dort eingegraben.

es tröstet mich auch nicht, dass es millionen anderen menschen in diesem land ähnlich geht. das macht es eher schlimmer: welch eine verschwendung von menschlichem potential, von herzens- und geistesbildung, wenn man uns alle nicht unseren fähigkeiten entsprechend arbeiten lässt! oh große wut!

statt dessen erleben millionen gut ausgebildeter menschen eine nie dagewesene ausgrenzung als 'schwer vermittelbare langzeitarbeitslose', die angeblich gar nicht arbeiten wollen und frühestens um elf uhr aus den federn kommen. das macht mich traurig und wütend und zugleich hilflos und es macht mir angst. es untergräbt meinen selbstwert. ich bin nicht stark genug, all diese vorurteile einfach an mir abperlen zu lassen. aber ich arbeite daran. das kostet unser gesundheitssystem viele teure therapiestunden.

nun habe ich schon von mehreren ärztInnen und therapeutInnen gehört, dass sie immer mehr damit beschäftigt sind, die gesundheitlichen folgen – körperlich und seelisch – von arbeitslosigkeit und hartz4 aufzufangen. auch die sind wütend. eine sagte sogar, dass sie sich vom staat instrumentalisiert fühle. denn statt mit den klientInnen an deren seelischer entwicklung arbeiten und sie damit zur unabhängigkeit führen zu können, müsse sie mittlerweile den hauptteil ihrer stunden darauf verwenden, die durch arbeitslosigkeit und amtsschikanen geschlagenen depressionswunden mit therapeutischen pflastern zu verarzten.

auch hier wieder: welch eine verschwendung von menschlichem und seelisch-geistigem potential!

manchmal, dann kriege ich ganz böse paranoide gedanken, weil ich den eindruck habe, dass die regierung die arbeitende bevölkerung ausrotten möchte, nur damit die reichen immer noch reicher werden können.

unter den nazis wurden missliebige bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und sogar ermordet. heutzutage werden menschen ausgegrenzt, indem man ihnen erst die arbeit wegnimmt, ihnen dann keine neue mehr gibt und obendrein noch so tut, als seien die arbeitslos gemachten menschen selbst schuld daran, weil sie angeblich gar nicht arbeiten wollten und deswegen habe man alles recht der welt, diese angeblich arbeitsscheuen opfer von kapitalismus und profitgier auch noch zu demütigen und zu schikanieren.

früher wie heute gab und gibt es für solcherlei unmenschliche misshandlung gesetze, es war und ist alles rechtmäßig, angeblich. es läuft nur viel subtiler heute. aber die ausgrenzung funktioniert perfekt.

an dieser stelle muss ich meinen negativen gedankengang ganz dringend unterbrechen und eine kleine entspannungsphantasie einlegen:

ich könnte zum beispiel ins benachbarte, befreundete ausland umziehen. das sind nicht mal 25 kilometer von hier. wenn ich den angaben auf der webseite der französischen botschaft glauben darf, dann beträgt die grundsicherung in frankreich glatte 100 euro mehr als bei uns, also 454 euro, und vom dazuverdienst darf jedeR 62 prozent behalten und nicht bloß 15 prozent wie bei uns. das klingt schon mal sehr viel menschlicher!

zudem gilt in frankreich ein gesetzlicher mindestlohn von 8,82 euro bei 35 stunden wochenarbeitszeit. davon kann eine in einig brd nur träumen! bei uns sind löhne unter sechs euro keine seltenheit. sind denn die menschen in deutschland so viel weniger wert? wer kann davon existieren, ohne zusätzlich ergänzendes hartz4 zu beantragen? das aber bedeutet doch im klartext, dass solcherlei sittenwidrige ausbeutung durch unternehmer auch noch staatlich subventioniert wird. und das bedeutet wiederum, dass die wahren schmarotzer in diesem land diejenigen unternehmer sind, die sich darauf verlassen, dass der staat ihre ausbeutung durch die aufstockung von niedriglöhnen auf das existenzminimum unterstützt. auf kosten aller steuerzahlerInnen. und zu denen gehöre ich ja auch. trotz allem!

och menno. schon wieder bin ich in der negativdenke ein stück tiefer gerutscht.

bevor ich hier vor lauter wut noch weitere schwurbelsätze konstruiere, packe ich jetzt meine bewerbungsabsage weg, gehe eine runde spazieren im weinberg und träume von frankreich. die vogesen da drüben habe ich ja ständig vor augen. sonst halte ich's nicht durch bis zur nächsten therapiestunde in zwei wochen.


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Dienstag, 22. September 2009

in memoriam – katzengeschichte no. 2

bis vor kurzem hatte ich zwei katzen, nicht bloß eine. katztier no. 1 holte ich aus dem tierheim berlin-lankwitz, damals, im september 1990. das war kurz nachdem ich aus japan zurück war - und kurz vor dem großen deutschen einheiz-gedöns.

drei monate war sie alt. schildpatt-schwarz mit großen bernsteingelben augen und wunderschön saß sie allein in der engen tierheimbox und schnurrte mit dem schnäuzchen am gitterdraht entlang. „die da ist schön, die nehm' ich“ - mit diesen worten besiegelte ich eine fast zwei jahrzehnte dauernde lebensgemeinschaft.

ich transportierte das quirlige tierchen in einem plastikcontainer den ganzen langen weg zurück von lankwitz nach neukölln mit bus und s-bahn und u-bahn. sie war sehr gesprächig unterwegs und unterhielt halb berlin. dabei sagte sie nicht „miau“, wie andere katzen, sondern „miiiiee“.

auch, als ich sie später zu hause immer wieder fragte „kätzchen, wie heißt du denn?“ - da war die antwort jedes mal „miiiee“. tagelang. so nannte ich sie dann auch. MII. in japanisch bedeutet das „schön, die da“. und genau das waren ja meine worte gewesen im tierheim, mit denen ich die pflegerin bat, mir bitte genau diese mii-zeh-katze zu vermitteln. also nannte ich sie mii. hintendran hängte ich die japanische kosesilbe CHAN. nicht das distanzierte SAN. also mii-chan. in den katzenpass trug ich mii-zeh maier ein. nicht mii-chan, weil das ihr kosename war, den benutzten wir nur "en famille". ihr offizieller name war mii-zeh, „die ehrenwerte mii“. maier mit nachnamen. denn ordnung muss sein, sie war im mai geboren, und auch ein katztier braucht einen nachnamen.



mii-chan war eine ganz besondere katze. trotz ihres profanen nachnamens. sie war der fleischgewordene beweis für die redensart "wo eine katze wohnt, braucht man keine skulpturen mehr aufstellen". mit gelassener selbstverständlichkeit postierte sie sich in der geometrischen mitte eines jeden raumes. oder im goldenen schnitt zwischen allen anwesenden.

außerdem konnte sie mehrstimmig schnurren. quasi mit sich selbst im duett - inklusive obertönen. und sie hat geschnarcht, ganz entzückend. wie ein kleiner mercedes benz diesel.

mii-chan ist mehr als ein halbes dutzend mal mit mir umgezogen, kreuz und quer durch die republik. diese zigeunerkatze war überall zu hause und oft wochen-, ja monatelang allein unterwegs. sie ist doch immer wieder zu uns zurückgekommen. wo immer sie war, war auch ein miezhaus.

als wir in süddeutschland beim radio arbeiteten, da hat sie mich des öfteren zum bahnhof begleitet. im morgengrauen um halb fünf, wenn ich zur nachrichtenschicht ins funkhaus ging. einen halben kilometer zu fuß durch unser wohndorf bis an die fußgängerbrücke zum bahnsteig. da blieb sie sitzen, schaute zu, wie ich in den zug stieg. dreiviertel fünf. sie drehte sich um und ging zurück, bevor der zug losfuhr. wenn ich heimkam nach der letzten redaktionssitzung am nachmittag, lag sie schlafend unter meinem schreibtisch.

einmal wurde mii-zeh maier entführt. das war damals im sozialen brennpunkt in berlin-neukölln. durchs küchenfenster hatte ich sie gerade eben noch gesehen, wie sie vier stockwerke tiefer unten auf dem hinterhof ihr revier inspizierte. minuten später klingelte das telefon, die türkengang aus dem kebab-salon vom reuterplatz: „wir haben ihre katze gefunden. wir wollen finderlohn. mindestens 50 mark. sonst schmeißen wir die katze auf die straße.“ ich war noch studentin. so viel geld hatte ich gar nicht mehr im portemonnaie. aber natürlich ging ich erst mal runter, da standen die kerls, feixend. und der ganze muslimische anhang feixte mit. pardon. der ganze anhang mit migrationshintergrund. samt kebapsalonbesitzer. alle feixten sich eins. ich hatte noch zwanzig mark. mit mühe konnte ich das lösegeld auf genau diesen betrag herunterhandeln. döner kebap habe ich dort nie wieder gegessen.

andere frauen haben kronjuwelen. ich habe katzen.

mii-chan war die mama von mafia cioccolata, meinem katztier no. 2.

heute ist es genau ein halbes jahr her, dass mii-zeh uns verlassen hat. kein anderes lebewesen war mir jemals so lange so nah wie diese katze: wir hatten mehr als achtzehneinhalb gemeinsame jahre, und es war das erste mal für mich, dass ich ein geliebtes wesen in den tod begleitet habe.

woran sie letztlich gestorben ist, bleibt nur zu vermuten. eine hüftarthrose hatte sie schon lange, die chronischen schmerzen wurden mit medikamenten gelindert, um sie beweglicher zu halten. so konnte sie immer noch allein aufs fensterbrett hüpfen. mit stop-over auf dem stuhl, den ich ihr beflissen hinstellte.

ein katzenbiblisches alter hatte sie mit ihren fast neunzehn jahren. ihre letzte nacht war grausam schwer, mit atemnot, keuchen und lähmung der hinterbeine: da habe ich sie sonntag früh in die notfallpraxis gebracht.

sie war schon so kühl, dass nicht einmal mehr das fieberthermometer reagierte. es gab nichts, das ihr leiden mehr als nur ein paar tage verlängert hätte. da habe ich sie einschläfern lassen.der fremde arzt war sehr freundlich und sehr respektvoll.

hypertrophe kardiomyopathie und sattelthrombose hat er als todesursache vermutet. dazu passte mii-chans verhalten in ihren letzten tagen, der kleine schlaganfall. was katzen nicht alles kriegen können ....

sie starb 22. märz 2009. das ist gleichzeitig auch der geburtstag meines besten, langjährigsten freundes. das wundert mich nicht: mii-chan war immer eine diva - so hat sie auf ihre eigene katzenweise dafür gesorgt, dass ich sie nie vergessen werde.

nicht, dass das nötig gewesen wäre: noch heute sehe ich ihren schatten fast täglich um die ecke huschen, aus dem augenwinkel.


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Mittwoch, 16. September 2009

besondere maßnahmen I: bewerbung schreiben


wer keine arbeit hat und welche sucht, oder wer arbeit hat aber nicht genug verdient und zeit übrig hat, um noch mehr zu arbeiten – dem bleibt es nicht erspart: man muss eine bewerbung schreiben. mindestens eine.

eine bewerbung ist eine art werbespot. bloß will man kein produkt verkaufen, sondern einen menschen: sich selbst. die wikipedia definiert es so:

„Eine Bewerbung ist ein Leistungsangebot, mit dem der Bewerber den Adressaten davon überzeugen will, dass er sich für eine bestimmte Aufgabe eignet.“

das klingt doch ganz schlicht und einfach. aber: jedeR macht es schlicht und einfach anders! und jedeR arbeitgeberIn hat schlicht und einfach eigene vorstellungen, die im vorfeld nicht bekannt gegeben werden.

wie man sich mit größtmöglicher erfolgsaussicht bewirbt, wissen bewerbungsbücher und volkshochschulkurse und beratungsfirmen und …. die große suchmaschine mit dem doppel-O: das stichwort 'bewerbung' brachte mir innerhalb von nur 0,37 sekunden zehnmillionenunddreihunderttausend treffer.

bevor ich die alle abgearbeitet und ausgewertet hätte, wäre es wahrscheinlich zeit für den ersten rentenantrag.

aber so lange warte ich nicht. ich schreibe die bewerbung sofort (und das tue ich ziemlich oft):

in deutschland gibt es eine eigene bewerbungskultur. man darf nicht ganz die wahrheit schreiben – wie in einem richtigen werbespot eben auch: da werden vorzüge angepriesen, aber menschliche lebenswahrheiten und andere missgeschicke fallen unter den tisch. wenn das 'schein-bare' selbstbild der personalabteilung gefällt, werden am ende 'bare scheine' daraus: der begehrte arbeitsvertrag.

bevor es aber soweit kommt, gilt es, eine ganze reihe von tabus einzuhalten:

wer zum beispiel eine weile arbeitslos war, muss das auf jeden fall vertuschen. es gehört sich nicht, vom staat ernährt worden zu sein. nicht einmal dann, wenn man ohne eigenes verschulden die frühere arbeit verloren hat. es gilt als ungehörig, obwohl es mittlerweile kaum noch einen menschen gibt in deutschland, der nicht zumindest eine kurze zeit seines lebens ohne offiziell anerkannte und angemessen honorierte beschäftigung war.

kinder? scheidung? krankheit? andere bewältigte krisen? bloß nicht! dabei wären doch gerade die souverän gemeisterten unwägbarkeiten des alltags oder eine in würde durchlebte zeit der arbeitslosigkeit ein guter beweis für belastbarkeit und funktionierendes krisenmanagement. menschlich eben. aber das zählt nicht.

das tut weh, nicht die sein zu dürfen, die ich bin. obwohl erwerbslosigkeit in diesem staat seit jahrzehnten für millionen von menschen zum alltag gehört, darf sie immer nur 'den anderen' passieren. daher muss ich in der bewerbung so tun, als ob ich kein mensch sei, sondern eine maschine mit immer gleichem – natürlich unglaublich hohem – kreativem output in immer gleicher bestqualität.

außerdem gehört in deutschland – völlig unzeitgemäß – immer noch ein foto zum bewerbungsstandard. trotz aller antidiskriminierungsgesetze und aller beteuerungen von 'gleiche chancen für alle'. in anderen ländern sind bilder längst verboten. im standardisierten lebenslauf der EU sind übrigens auch keine mehr vorgesehen. weil man weiß, dass schöne menschen die schöneren jobs kriegen und das schönere gehalt. unabhängig von der qualifikation.

ich spiele das spiel mit, weil ich keine andere wahl habe. meine bewerbung ist von vorne bis hinten durchkomponiert, mehrfach gecoacht und von verschiedensten fachleuten für sehr gut und tadellos befunden, wird immer wieder aktualisiert und auf den jeweiligen potentiellen arbeitgeber neu zugeschnitten. als ob ich mein leben im nachhinein noch ändern könnte! aber ich tu's. in meinem bewerbe-spot bin ich ein zielgruppenorientiertes chamäleon.

leider bislang erfolglos. seit mehr als acht jahren versuche ich, zumindest eine halbtagsstelle zu ergattern, die mir die basics in meinem leben finanziell absichern würde: miete, heizung, strom, internet und versicherungen. mehr will ich ja gar nicht. den rest dingel' ich schon irgendwie.

all die absagen untergraben mein selbstwertgefühl. ich bin nur noch ein schatten meiner selbst. kein vergleich mehr mit der brillianten, zuversichtlichen frau von vor ein paar jahren, als ich noch ausreichend bezahlte arbeit hatte. das wirkt sich auf alle lebensbereiche aus.

mit kognitiver disziplin versuche ich immer wieder, mich davon zu überzeugen, dass es nicht an mir liegt, wenn mal wieder der große umschlag mit absage im briefkasten liegt: wenn ich bei nachfrage herausfinde, dass es für eine halbtagsstelle fast dreihundert bewerberInnen gab – es ist wirklich eine lotterie.

ich bin eine frau, ich bin über 40, hochbegabt und gut ausgebildet.

gerade warte ich mal wieder. die beste bewerbung hatte ich abgeschickt auf eine stelle, für die ich zu hundert prozent qualifiziert bin. das ist mehr als drei wochen her. das warten macht mürbe. die stimmung ändert sich. von anfangs zuversichtlich und hoffnungsfroh hin zu schmutztümpel-depressiv: mit jedem tag sinkt die chance auf eine persönliche einladung, steigt die wahrscheinlichkeit des wieder mal „leider müssen wir Ihnen mitteilen .... andere Bewerberin entschieden .... keine Bewertung Ihrer Person und beruflichen Qualifikation ....“

heutzutage bin schon dankbar, wenn die unterlagen überhaupt zurückkommen. das ist schon längst nicht mehr üblich. bei online-bewerbungen scheint es sogar standard, entweder sofort eingeladen oder ganz ignoriert zu werden. bewerbungen, die ohne eingangsbestätigung oder absage immer noch irgendwo im orbit kursieren, habe ich nicht gezählt. die anderen übrigens auch nicht.


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Dienstag, 8. September 2009

miezhaus oder was? vermietergeschichte no. 2

ich lebe ja auf dem lande, seit ein paar jahren. in einem mietshaus. aber nein – das stimmt so eigentlich nicht. denn in einem miezhaus leben ja nur mieterInnen. in 'meinem' miezhaus lebt aber auch noch der vermieter samt mischpoke - und ich bin die einzige mieterin.



die formulierung „ich wohne zur miete in einem eigenheim“ ist allerdings auch nicht so ganz richtig. aber wie nenne ich es dann?! hört mal zu:

das haus, in dem ich wohne, ist am hang gebaut und hat drei etagen. wenn ich die garagen samt vorplatz mitzähle, sind es vier etagen.

unten direkt vorm haus ist eine kleine straße. oben direkt hinter dem haus ist eine andere kleine straße.

von der unteren straße aus geht es vor dem haus die treppe hoch zum hauseingang. das sind siebzehn hohe unregelmäßige stufen – also fast ein ganzes stockwerk.

rein ins haus, wohnen gleich unten die vermietertochter und ihr lebensgefährte. vielleicht sind sie auch verheiratet. das weiß ich nicht. sie tragen jeweils ihren eigenen familiennamen. für ein miteinander verheiratetes paar wäre das in dieser sehr konservativen katholischen gegend eher ungewöhnlich. im grunde aber ist mir das egal, und es geht mich auch nix an.

die erdgeschossleute haben vor ihrem wohnzimmer eine überdachte terrasse und einen eigenen garten, gesäumt von einer hohen, undurchsichtigen weißbuchenhecke. eine rückseite hat ihre wohnung nicht: sie ist wie ein keller in den berg gebaut. so heißen denn auch alle anderen räume im erdgeschoss „keller“: es gibt den heizungskeller und den hobbykeller und den vorratskeller. nur wo sie wohnen, da heißt es ‚wohnung‘.

geht man vom hauseingang im erdgeschoss die grün gesprenkelte marmortreppe nach oben, landet man im ersten stock, in der „beletage“. hier lebt das vermieterehepaar.

ihre wohnung ist nach allen seiten oberhalb der erde gebaut und hat fenster rundum, nach südwesten einen wintergarten mit terrasse und ebenfalls einen vorgarten, gesäumt von akkurat gestutzten undurchsichtigen eibenhecken auf der repräsentierseite und gemischten sträuchern auf der rückwärtigen straßenseite.

geht man im grün gesprenkelten marmortreppenhaus noch eine etage weiter nach oben, landet man bei mir unter dem dach – und da ist die treppe dann auch zu ende. unterwegs muss man sich bücken, weil das dach schon schräg und das treppenhaus sehr niedrig ist. ich habe keinen ebenerdigen ausgang wie die anderen. das ist schade.

wenn dieses haus ein echtes schwarzwaldhaus wäre – was es aber nicht ist, es ist einem solchen nur nachempfunden durch die in den 70er jahren übliche bauweise am hang – dann lebte ich auf dem heuboden und hätte für den traktor eine breite ausfahrt auf die straße hinter dem haus. die wäre jedenfalls ebenerdig.

aber für die dachstubenbewohner war solcher luxus nie vorgesehen. und so ist das einzig ebenerdige von meinem balkon aus nach draußen eine schmale hölzerne planke. sie liegt mit ihrem anderen ende auf dem dach des vermieterlichen gartenschuppens und gehört der katze. vom schuppendach aus ist es nur ein knietiefer hopser in die pflegeleicht immergrüne, brav beschnittene und blickdichte kirschlorbeerhecke hinter dem haus.

der katze gefällt das, sie kann dort unter dem immergrünen kirschlorbeer hocken und die straße sowie die reben dahinter beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. ich vermute auch, sie mag den geruch von rindenmulch, der unter der immergrünen hecke in pflegeleichten mengen das unkraut verhindern soll. unkraut mögen die hausbesitzer gar nicht gerne, denn das ist weder pflegeleicht noch blickdicht.

wenn auch keinen garten oder zumindest eine terrasse, so hat meine wohnung doch immerhin zwei balkone: einen im norden und einen im süden, jeweils an den giebelseiten. beide balkone haben fenster und türen vom boden bis unter die decke. dadurch ist es hier oben viel heller und vor allem viel luftiger, als man denken könnte, wenn man das nur von drei kleinen fensterluken durchbrochene große dunkle dach von außen sieht.

leider ist das giebeldach über dem südbalkon so weit vorgezogen, dass auf den balkon im sommer keinerlei sonnenlicht gelangt. in kombination mit dem großen baum direkt davor ist der südbalkon so dunkel, dass dort noch nicht einmal nachtschattengewächse gedeihen wollen. das ist schade. ich hätte mich hier sehr gerne mit duftenden rosen und würzigen kräutern umgeben.

was das giebeldach an licht verhindert, macht es an akustik und gerüchen wieder wett: aller schall von unten wird im giebel gebrochen und gesammelt in meine wohnung geleitet. so höre ich jedes wort, das die vermieter in der wohnung unter mir und die vermieterkinder zwei etagen tiefer sprechen – auch wenn sie telefonieren oder fernsehen. leider ist das nur selten unterhaltsam für mich.

ganz schlimm ist meinen ohren des vermieters liebstes hobby, das steirische polka-akkordeon. er spielt darauf reaktionäre volksmusik: so gut wie täglich und das sehr schlecht, hält sich weder an ruhezeiten noch an den takt - und wenn er sich besonders musikalisch fühlt, dann jault er selbst mit seinem akkordeon um die wette.

manchmal frage ich mich, ob ich wohl meine schöne aussicht zu teuer bezahle. die geräusche sind es nicht allein, nein! auch die aerodynamik in diesem haus am hang ist so genial, dass nicht nur die akustik, sondern auch alles olfaktorische von der straße und aus den unteren wohnungen zu mir heraufzieht. das ist leider öfter unappetitlich als angenehm.

es sind nicht nur weinbergstrekkermotorendieselwolken, die da bei mir einziehen. auch jede einzelne zigarette von unten landet im hintersten winkel meiner rauchfreien zone. wenn unten gegrillt wird, riecht meine frische wäsche nach würstchenqualm.

fast jedes mal, wenn ich es mir auf meinem schattenbalkon gemütlich machen möchte: irgend ein lärm ist immer. entweder bei mir im haus oder in der nachbarschaft oder irgendwo drum herum. der landmensch baut ja auch gerne mal - mit dem größten getöse, versteht sich.

so kommt es, dass es mir hier in meinem kleinen winzerdorf lauter vorkommt als in meiner früheren wohnung in berlin direkt am kurfürstendamm.

bloß nachts, wenn die gehsteige hochgeklappt und die letzten busse abgefahren sind: dann ist es hier so märchenhaft still, dass man sogar die sterne funkeln hört!


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Mittwoch, 2. September 2009

lebensbilder

früher, in meinen zwanzigern, da besaß ich ganz bewusst keinen fotoapparat. ich hatte meinen kleinen prinzen gelesen und sagte oft: „ich mag mich von einem stückchen papier nicht foppen lassen. stell dir mal vor, in zehn oder zwanzig jahren, wenn meine erinnerung schon ganz verblasst sein wird – aber dieses foto ist immer noch so bunt und scharf wie am ersten tag. wie entsetzlich! da will ich die bilder lieber in meinem herzen tragen. da sind sie gut aufgehoben.“



ganze weltreisen machte ich also ohne kamera: den himalaya in flipflops - aber ohne beweisbilder; schneesturm auf dem fuji – das glaubt mir heute keineR mehr; leben in einer bambushütte auf einer kleinen tropeninsel mitten im chinesischen meer – oh idyllisches weihnachts-neujahrs-paradies kurz vor meinem zwanzigsten geburtstag.... aber war ich da wirklich?!

heute stelle ich fest: von manchen situationen, von besonderen oder alltäglichen augenblicken, hätte ich doch ganz gerne ein immerscharfes abbild gehabt, um meiner inzwischen blassen erinnerung auf die sprünge zu helfen.

denn manchmal reichen ein paar bunte optische punkte, und die gesamte verloren geglaubte szenerie taucht wieder auf in meinem herzen: nicht nur aussichten und ansichten, auch gerüche, geräusche, stimmungen, gefühle, das licht – das ganze drumherum samt vorher und nachher wird bisweilen wieder lebendig, wenn ich ein altes foto betrachte.

dann wieder gibt es fotos, da regt sich bei mir GAR nix – dabei habe ich sie doch selbst aufgenommen. aber wo war ich da bloß? wann war das? und mit wem? wer sind diese menschen so nahe bei mir auf dem bild und meinem herzen doch so fern?

irgendwann besaß ich dann doch eine kamera, diese kleine minox: eine analoge kleinbildkamera, die in jede jackentasche passte. heutzutage ist das nichts besonderes mehr. aber damals, 1982, war es das noch.

als die minox mir 1997 im duftenden inselfrühling der ägäis gestohlen wurde, war ich sehr traurig. nicht nur, weil die sonnenuntergangsbilder mit hale bopp nun für immer verloren sind.

ich mochte die kamera sehr, weil sie mich anderthalb für mich wichtige jahrzehnte begleitet hat. gemeinsam mit ihr hatte ich viel mehr gespeichert als nur fotografische erinnerungen.

danach war ich wieder eine weile kameralos. es fehlte mir an nichts, und doch: wenn ich meine fotokisten heute so durchgucke, dann gibt es eine optische lücke – gerade so, als wäre ich jahrelang gar nicht dabei gewesen in meinem leben. aus dieser zeit gibt es nur aufnahmen, die andere gemacht und mir gegeben oder geschickt haben. sozusagen ein blick auf mein leben von außen.

später bekam ich einen anderen foto geschenkt, vom vater. er hatte ausgesucht, nichts mit mir abgesprochen. statt der heiß ersehnten (aber für mich unbezahlbaren) spiegelreflex bekam ich eine auf immer ungeliebte vollautomatische kleinbildkamera, an der ich überhaupt nichts mehr einstellen konnte außer sonne und wolken.

die pentax war "praktisch, robust und pflegeleicht" - etwas „anständiges und vernünftiges“ - wie es der vater bevorzugte: ein häßliches großes ding zum knipsen.

aber keine KAMERA, mit der ich hätte FOTOGRAFIEREN können! in meinem fotokarton aus diesen jahren: uninspirierte und fast seelenlose schnappschüsse, denen man es irgendwie ansieht, dass ich den fotoapparat nicht leiden konnte.

photographisch erwacht und aufgelebt bin ich erst wieder vor einem halben jahr: die lang ersehnte Canon EOS ist endlich mein! zwar gebraucht und finanziert teils als geschenk, teils als kredit und teils mit meinem jämmerlich wenig ersparten, aber MEIN und auch noch digital!

plötzlich gibt es kaum eine sekunde meines lebens mehr, die ich NICHT fotografisch festhalten möchte. mag sein, dass das an der wunderbaren kamera liegt.

kann aber auch sein, dass schöne augenblicke mir jetzt, fast fünfzigjährig, kostbarer erscheinen als vor dreißig jahren. denn – so insgesamt gesehen – habe ich mehr davon hinter mir als vor mir. damals, als ich eine kamera noch für entbehrlich hielt, war das genau umgekehrt.

im gegensatz zu damals weiß ich heute, wie es sich anfühlt, wenn meine eigene erinnerung mich foppt. wie garstig und beschämend, dabei war ich doch dabei! genau deswegen wünsche ich mir bisweilen beweise für die ewig neuen farben des himmels und für alles andere auch!

wer weiß, welche streiche mein gedächtnis mir noch spielen wird, wenn ich erst achtzig bin!


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