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Mittwoch, 14. Oktober 2009

besondere maßnahmen V – wohnen bleiben

jeder mensch ist zeit seines lebens ein gast auf unserem blauen planeten. allerdings gibt es erhebliche unterschiede in bezug auf kost und logis.

"viel holz vor der hütte"

wer im eigenen haus lebt, der hat glück. der hat festen boden unter den füßen sein leben lang.

ich hingegen wohne in einem miezhaus, da stellt sich das wohngefühl anders dar:
der boden unter meinen füßen gehört nicht mir, sondern dem vermieter. dem bezahle ich geld dafür, dass ich in meinen socken über seinen teppich laufen darf.

das ist ein seltsam unsicheres lebensgefühl, überall und immer ein zahlender gast zu sein wie in einem dauerhotel. aber im laufe meines lebens habe ich mich einigermaßen daran gewöhnt, dass ich nirgendwo 'zu hause' bin.

noch mal ganz anders wird das wohngefühl, wenn eine nicht genug verdient und das geld für die miete nicht ausreicht. wer prekär lebt, der hat – von gesetz wegen - keinen anspruch mehr auf eine wohnung. eine 'unterkunft' reicht dann völlig aus.

früher gab es einmal die sogenannte arbeitslosenhilfe. das war ein fester betrag im monat, den konnte ich mir einteilen, wie es für mich gepasst hat. für mich war passend, im alltag sparsam zu sein und dafür monatlich etwas mehr geld für eine helle wohnung mit schöner aussicht zu bezahlen. sonne, licht und luft sind mir wichtig: gegen die kopfschmerzen, gegen die depressionen, weil meine kindheit so düster war.

meine wohnung hat zwei zimmer. in dem einen wohne und schlafe und lese und fernsehe und esse ich, mache yoga und bewirte meine gäste. das zweite zimmer ist mein büro mit der schönen aussicht. dort verdiene ich mit diversen besonderen maßnahmen geld, so gut es eben geht, um dem amt nicht allzu sehr auf der tasche zu liegen.

seitdem die arbeitslosenhilfe zu hartz4 wurde, erklärt mir das amt, dass meine wohnung unangemessen sei, weil ich jetzt bedürftig bin. das amt will, dass ich irgendwohin ziehe, wo es weniger miete kostet – und zwar maximal 229,95 euro im monat für die mir erlaubten 45 m².

nicht, dass das amt eine solche „unterkunft“ für mich hätte. weit entfernt! eine wohnung zu den von amts wegen erlaubten konditionen gibt es an meinem ort nicht. auch nicht in den orten drum herum und erst recht nicht in der universitätsstadt nahebei. dort gibt es zu diesem preis noch nicht einmal ein studentInnenzimmer – weder im wohnheim noch privat, ganz zu schweigen von einem wg-zimmer und erst recht nicht eine kleine wohnung.

dennoch wird vom amt behauptet, dass es ohne weiteres möglich sei, eine 'angemessene unterkunft' innerhalb kurzer zeit zu finden. und zwar gleich mehrtausendfach – schließlich bin ich nicht die einzige prekär lebende teilzeitarbeitslose hier im südwesten der bundesdeutschen republik.

obige behauptung wird vom amt natürlich nicht nachgewiesen. statt dessen wird – wenn man innerhalb einer gesetzten frist keine 'angemessene unterkunft' findet - die unterstützung auf den maximal für angemessen gehaltenen betrag gekürzt. einfach so. ohne rücksicht darauf, ob man die tatsächliche miete dann noch bezahlen kann oder nicht.

mir ist das mehrfach passiert. einmal kam am 29. eines monats der bescheid, dass ab dem nächsten monatsersten (also übermorgen) meine miete nicht mehr übernommen wird. ein andermal kam überhaupt gar kein geld mehr, einfach so, ohne erklärung, ohne bescheid. all meine finanziellen reserven sind aufgebraucht durch die lange arbeitslosigkeit. ich stand also beide male da mit gar nix und der vermieter wollte sein geld.

im grunde sind solche 'amtshandlungen' nicht rechtens. das ist dem amt aber egal. es stand sogar in der hiesigen lokalzeitung ein interview mit dem amtschef, in dem er zugab, seine angestellten zu falschen bescheiden anzustiften, um geld zu sparen. weil prekäre sich kaum wehren und selten widerspruch einlegen.

wer gegen falsche bescheide keinen widerspruch einlegt, verzichtet auf geld, das ihm rechtlich zusteht. das sind rund die hälfte der betroffenen. so einfach ist das. wer in deutschland etwas beansprucht, das ihm rechtlich zusteht, der kriegt das nicht einfach so. der wird gedemütigt schon bei der antragstellung. keine leistung ohne leiden! mit „fordern und fördern“ hatte das noch nie etwas zu tun. „folter“ wäre in meinen augen ein treffenderes wort.

solcherlei kafkaeske schikanen bedrohen mich in meiner existenz, ziehen mir den boden unter den füßen weg – der ja ohnehin nicht einmal mir selbst gehört. ich reagiere jedes mal mit heftigen krankheiten. jedes mal wird mein mühsam erarbeitetes seelisch-körperliches gleichgewicht aus der bahn geworfen: schweißausbrüche und alpträume, schlafstörungen und kopfschmerzen, zittern, zähneknirschen und tinnitus, angstzustände und panikattacken, schwere depressionen bis hin zu todessehnsucht und selbstmordgedanken sind die folge. tage- und manchmal wochenlang kann ich dann das haus kaum verlassen; wage es gar nicht vor die tür zu gehen aus angst, dass meine wohnung nicht mehr da ist, wenn ich zurückkomme.

seit jahren wird mir von fachärztInnen immer wieder bestätigt, dass eine beständige, stabile wohnsituation sehr wichtig ist für meine gesundheit und damit auch eine grundbedingung für den erhalt meiner arbeitsfähigkeit. um ein paar euro zu sparen, nimmt das amt meinen gesundheitlichen ruin scheinbar gerne in kauf.

meiner meinung nach ist das beständige wohnen ein menschliches grundbedürfnis. allein die tatsache, dass ich dafür fachärztliche gutachten benötige, ist mehr als grotesk.

also habe ich dem amt in den vergangenen jahren gutachten von etwa einem halben dutzend verschiedenen fachärztInnen und therapeutInnen vorgelegt. sogar der leitende chefarzt des amtsärztlichen dienstes hat mehrfach gutachterlich bescheinigt, dass mir ein umzug aus gesundheitlichen gründen nicht zumutbar sei.

ob und wie lange ich jeweils „wohnen bleiben darf“ liegt nicht im ermessen der ärzte, sondern im ermessen der jeweiligen sachbearbeiterIn. die gutachten werden dort manchmal anerkannt, manchmal auch nicht. mal für eine weile und dann wieder von vorn. ich habe überhaupt keine sicherheit. feste zusagen bezüglich der erlaubten wohndauer gibt es nicht.

jetzt gerade lief wieder so ein verfahren. es traf mich aus heiterem himmel mitten im schönsten sommer und hat sich fast zweieinhalb monate lang hingezogen. obwohl ich alle unterlagen und neue atteste und schweigepflichtsentbindungserklärungen etc rubbeledupp ratzfatz schnell beisammen hatte und eingereicht habe. man ließ mich warten:

zweieinhalb monate angst und panik und kopfschmerzen und tinnitus und depressionen und ....

heute endlich kam per einschreiben das neue gutachten vom amtsarzt: ".... ist derzeit und bis auf weiteres ein umzug aus gesundheitlichen gründen nicht möglich.“

ich bin sehr erleichtert. fürs erste. ob aber die leistungsabteilung sich an das gutachten hält und für wie lange, dass weiß man nie. es ist jetzt einfach mal für eine weile weniger schlimm. 'gut' ist es noch lange nicht.


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