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Januar 2021

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Nach und nach werden alte Beiträge – ggf. aktualisiert und überarbeitet – dorthin umziehen. Bitte folgen ... :-)

Mittwoch, 25. August 2010

reizklima II

offiziell bin ich hier in einer gegend mit absolut guter reiner frischer luft, meistens vom meer her. die klinik ist bekannt für ihre lungenheilabteilung mit bester sauerstoff-therapie.

heiligendamm: seebrücke und grandhotel

seit gestern stinkt es allüberall nach frischer gülle, im ort und um den ort herum: im klinikgarten, in der klinik selbst und auch in meinem zimmer. es stinkt nach frischer gülle im kurwald und auf der kurwiese und auf der strandpromenade und trotz stürmischen winds stinkt die brühe von den feldern ringsum sogar bis auf die seebrücke hinaus.

der geruch will mir gar nicht mehr aus der nase. das ist echt eklig. ich bitte um eine große portion mitleid. für mich. aber auch und vor allem für die gäste des grandhotels, die trotz eines preises ab 300 euro für ein zimmer mit seeblick diesen duft der großen weiten welt nicht einfach abschalten können.


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Sonntag, 22. August 2010

ratlos

seit dreieinhalb wochen bin ich nun in dieser klinik, mehr als die hälfte 'meiner zeit' ist um – und ich verstehe immer weniger, was das hier eigentlich soll.


das ist schlimm für mich, denn ich hatte doch so gekämpft, hatte so lange gewartet, hatte auch große hoffnungen in die behandlung hier gesetzt. zumindest hatte die ärztin immer so getan, als wenn das was ganz großes wäre, so eine rehab machen zu dürfen.

ganz sicher ist es zu früh, etwas konkretes, abschließendes zu sagen. nach wie vor stecke ich ja mitten drin im prozess und bin höchst angestrengt damit beschäftigt, mich den zu- und umständen hier anzupassen.

mir fehlen die kraft, aber vor allem auch das hintergrundwissen und ein adäquater spiegel, um angemessen einordnen zu können, um sagen zu können „was passiert hier wirklich?“

ich weiß es nicht. ich weiß nur, dass ich mich hier nicht wohl fühle. unfrei, eingezwängt. ich erfülle den plan der klinikleitung. nicht meinen.

in der kommenden woche steht eine sogenannte „chefarztvisite“ im terminplan. zehn minuten arzttermin bei einer frau, die mich noch nie gesehen hat. dabei wird auch die diagnose noch einmal überprüft. ein kurzes frage- und antwortspiel wird entscheiden über wohl und wehe und über das, was auf jahre hin in meinen akten steht.

was machen die da? was passiert?! hatte ich schon geschrieben, dass es schwierig ist, bei all den terminen einen rhythmus zu finden? die chefarztvisite liegt mitten in der mittagessenszeit. auch dafür werde ich auf eine mahlzeit verzichten. rhythmus adé.

in der vergangenen woche ist es mir tatsächlich einmal gelungen, an einem nachmittag drei freie stunden am stück zu haben. zum glück hat es da nicht geregnet. ich bin sofort ans meer, endlich! die ganze zeit immer an der wasserkante langgelaufen.

die wellen, die weite: das beruhigt meine flatternden nervenenden und besänftigt den tinnitus. zumindest solange ich dort bin. dann stehe ich am ufer und weine. salzwasser zu salzwasser. wieder zurück in der klinik, hat das aufatmen sofort ein ende. mir ist hier sehr eng ums herz.

die klinik ist teil eines konzerns und fährt ein sparprogramm. zimmer werden im akkord geputzt, mitarbeiterInnen erhalten so wenig lohn wie nur möglich. so viel immerhin habe ich inzwischen herausgefunden. fast schäme ich mich, dass es mir hier auf kosten unterbezahlter schufterei anderer gut gehen soll.

in dieser institution ist alles von vorn bis hinten 'durchoptimiert', jede minute geplant, die qualität aufs beste 'gemanaged'. will sagen, für menschen ist hier eigentlich kein platz.

zwanzig minuten haltungsgymnastik. dreißig minuten qi gong. zwanzig minuten laufband. dreißig minuten therapiegespräch. zwanzig minuten massage. neunzig minuten gruppentherapie. dreißig minuten entspannungstherapie. zwanzig minuten massage. neunzig minuten beschäftigungstherapie. und - ja tatsächlich! - zwanzig minuten fango.

alles in allem soll ein echter arbeitstag simuliert werden. zwanzig minuten dies. dreißig minuten jenes. zwischen acht und siebzehn uhr. du musst leiden, um zu heilen! wir quälen dich, damit es dir besser geht! rehab ist kein urlaub!

wie kann mir ein solcher plan helfen, mein leben neu zu ordnen? wie kann ich daraus neue impulse gewinnen, um anders umzugehen mit dem schmerz, der von innen kommt? was hilft mir das?

der montagmorgen beginnt mit der gruppentherapie. das bedeutet in meinem fall: statt frühstück eine dreiviertelstunde gemeinsamer gruppenzwangsspaziergang unter aufsicht einer physiotherapeutin. durch den wald, am strand entlang, mit sondergenehmigung über das gelände des grandhotels. in der vergangenen woche durften wir uns bei regen auf dem bahnhofsvorplatz im kreis aufstellen und ein lustiges gruppenspiel spielen. das spiel hieß „das ist mein knie“. ist das die vorbereitung aufs altersheim? mir graust es ganz gewaltig.

energetisch fühle ich mich überfordert und bin ständig müde. intellektuell hingegen langweilt mich der alltag in der klinik. mit der geistigen, spirituellen langeweile angemessen umzugehen, das ist eine herausforderung. zum glück bringe ich da einiges mit an verinnerlichter motivation. und: ich bin sehr dankbar für meine kluge tischnachbarin. das ist ein großer lichtblick! unsere gespräche, diskussionen und gemeinsame kleine fluchten haben mich schon so manches mal gerettet.

mit das beste, was mir hier bislang passiert: wie immer am meer bewege ich mich mehr und habe in drei wochen vier kilo abgenommen. das sind sechzehn viertelkilo-pakete butter. ich hoffe sehr, dass die dauerhaft wegbleiben. immerhin ein kleiner anfang. vom doofen matronenspeck würde ich mich sehr gerne dauerhaft verabschieden.

das andere, was ich richtig gut finde: dass ich echt weit weg bin von meinem ollen alltag. kein vermieter, der tagtäglich auf seinem akkordeon dudelt! ich muss nicht nachdenken, ob ich mir jetzt noch etwas obst leisten kann oder ein pfund kaffee kaufen darf: hier nehme ich einfach vom buffett was mir schmeckt. außerdem muss ich keine angst haben vor demütigender amtspost im briefkasten.

und das meer natürlich, große mutter aller salzwasser! auch wenn nicht viel zeit ist – so bemühe ich mich doch, jeden tag hinzugehen. zumindest mal kurz gucken. wenn mehr zeit ist fürs meer, gibt es auch mal einen kaffee an der hafenpromenade im nachbarort. da kann ich hin radeln, leute gucken und ablästern. die seele ins blaue baumeln lassen. therapie vergessen und einen klaren kopf kriegen.

neulich gab es zum kaffee einen fettgebackenen spritzkuchen mit ganz viel zuckerguss. und blick aufs meer. das war das beste. das allerbeste überhaupt!


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Mittwoch, 18. August 2010

reizklima

offiziell bin ich hier in einer gegend mit absolut guter reiner frischer luft, meistens vom meer her. die klinik ist bekannt für ihre atemwegserkrankungs-heilabteilung mit bester meeres-aerosoltherapie.

sonnenuntergang: ostsee (august 2010)

das gesunde meeres-aerosol ist voll mit feinem salz, jod und magnesium und noch viel mehr so konstruktivem zeugs. deswegen plitsche ich am liebsten mit nackten füßen an der wasserkante längs. atme tief ein und wieder aus. gerne stundenlang. immer auf und ab. dazu war bislang leider noch keine zeit. aber ich bin ja auch erst seit drei wochen hier.

selbst wenn es mal nur eine knappe halbe stunde ist kurz vorm dunkelwerden, tut das wasserkantenplitschen der lunge und meiner seele doch gut. auch optisch ist es abends am meer besonders reizvoll.

nun gibt es aber ein phänomen, das wundert mich wirklich und zwar schon seit fast zwei jahrzehnten: jedes mal, wenn ich an der ost-ostsee bin oder sonstewo in der ex-ostzone, riecht es - auch an der sogenannten „frischen luft“ - streng nach altem pommesfett. das finde ich nicht appetitlich.

die bratfettbuden scheinen strategisch verteilt, gerne auch mal bis an den strand runter. es gibt vorn an der strandpromenade ein eiscafé. wenn ich da direkt davor stehe, duftet es nicht etwa einladend nach kaffee oder schlagsahne. nein! der gestank von längst überfälligem frittürenbad macht mir brechreizklima.

ich bitte um entschuldigung dafür, dass ich jetzt überhaupt nicht politisch korrekt bin – aber ich weiß nicht, wie ich meine erfahrungen anders in worte fassen könnte: „bei uns“ - also in besserwessiland – kenne ich das so extrem und in dieser häufigkeit nicht, dass das heiße fett auch außerhalb der küche zu riechen ist.

seit zwanzig jahren frage ich mich: wie kommt's? und: könnte man das nicht irgendwie abstellen? mögen 'die' das? seid „ihr ostdeutschen“ olfaktorisch so .... unempfindlich? .... abgehärtet?

derjenigen, die mir diese frage hinreichend sinnstiftend, fundamental wissenschaftlich und bitteschön auch politisch mindestens teilweise korrekt beantworten kann, spendier ich auf wunsch gerne eine goldene maßnahme. oder auch ne portion pommes rotweiß.


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Sonntag, 15. August 2010

springen verboten

es ist nicht leicht für mich, patientin zu sein in dieser reha-klinik. der rahmen ist so eng gesteckt, die termine sind so viele, so unflexibel und so dicht gesetzt, dass ich gar nicht weiß, wo ich die kraft hernehmen soll, um all dem gerecht zu werden und eine 'gute patientin' zu sein.

hinweisschild: seebrücke heiligendamm

wenn ich keine gute patientin bin, riskiere ich, wieder nach hause geschickt zu werden. das will ich auf jeden fall verhindern. natürlich wird man das niemals so sagen. offiziell heißt das dann in etwa: „wir sind der meinung, dass wir nicht die richtige klinik sind für Ihr krankheitsbild und dass wir Ihnen nicht angemessen helfen können.“

so schnell wieder zurück, das will ich auf keinen fall. also passe ich mich ein, so gut es geht. aber vielleicht haben sie ja recht, und ich bin wirklich am falschen ort?

ich hatte gehofft, hier zur ruhe kommen und kraft tanken zu dürfen. es ist eher das gegenteil der fall. ich fühle mich eingeengt und ausgebremst, hänge wie ein bild gefangen in einem rahmen, der mich nicht angemessen zur geltung bringt.

mit am schlimmsten sind die mahlzeiten. in aller öffentlichkeit. in großen räumen. auch, wenn ich seit einer ganzen weile schon in dem sehr viel ruhigeren nebenraum sitzen darf. es bleibt unruhig: mehr als 250 patientInnen schwatzen, schmatzen und schwitzen, bedienen sich am buffett, stehen schlange am einzigen toaster, am safthahn, drängeln sich um die schnell leer geräumten „besten happen“.

frühstück ist ab sieben. spätestens um dreiviertel neun ist kehraus; mittagessen ab halb zwölf – um halb eins schon kommen die mitarbeiterInnen des hauses. bis dahin muss mein platz frei und aufgeräumt sein. abendessen zwischen fünf und viertel vor sieben.so früh, da denke ich sonst nicht mal ans kochen.

während man isst ("schmackhafte" schonkost, übrigens), fahren die küchenhelferinnen mit großen wagen laut klappernd durch den saal und sammeln benutztes geschirr und besteck ein. nie ruhe. unter der woche sind die mahlzeiten im einzelfall noch kürzer, weil die essenszeiten sich überschneiden mit therapien und anwendungen.

zwischen den mahlzeiten gibt es für die individuelle versorgung den wasserhahn, den kaffee- und schokoriegel-automaten und am nachmittag die cafeteria mit kuchen, sekt und bier. in der so genannten teeküche stehen den anstaltsinsassen von 7 bis 8uhr30 und von 16 bis 22uhr30 ein wasserkocher und eine kaffeemaschine zur verfügung. tassen, anderes geschirr oder teekannen gibt es dort nicht, auch keinen kühlschrank. wir müssen alles selbst mitbringen oder irgendwo kaufen. tagsüber zwischen 8uhr30 und 16 uhr ist der raum sowieso abgeschlossen.

es gibt keine pause, keine ruhezeit nach dem essen. ständig sind da so viele fremde menschen. es gelingt mir nicht, in einen rhythmus zu finden. den bräuchte ich dringend für mein wohlbefinden. aber irgendwas ist immer. das macht mich müde. so sehr müde und erschöpft.

in den stundenplänen der klinik gibt es nichts, worauf ich mich freue. nichts, was mir wirklich spaß macht. ich funktioniere, erfülle das therapiesoll und träume davon, ans meer zu dürfen – so wie „zu hause“ auch.

dabei stelle ich fest, dass ich zu dem platz, wo ich derzeit miete zahle und wo mein zeug steht, keinerlei gefühl von 'zu hause' habe. ich vermisse nichts. gar nichts, spüre nicht einmal einen anflug von 'heimweh'.

genau so gut könnte ich auch an die ostsee ziehen. wenn ich es finanziell stemmen könnte, würde ich das womöglich sofort tun. bloß um mal wieder woanders zu leben. dabei hatte ich doch damals fest vor, endlich sesshaft zu werden, als ich im frühjahr 2002 von berlin ins dreyeckland zog.

es ist mir auch in mehr als acht jahren nicht gelungen, wurzeln zu schlagen. mein inneres zigeunerkind hat unruhe, will wieder auf wanderschaft! dabei weiß ich doch, dass ich mir selbst nicht entkommen kann: all den schmerz, die einsamkeit und die trauer würde ich doch immer mitnehmen, egal wohin. außerdem braucht diese gegend ganz bestimmt nicht noch eine arbeitslose endvierzigerin, die nicht mal mehr vollschichtig arbeitsfähig ist und sich auch auf absehbare zeit nicht selbständig wird ernähren können.

trotzdem, wieso eigentlich nicht?! was, wenn ich beschließe, meine seelenlast einfach nicht mehr mit mir herumzuschleppen?! irgendwo abzuladen und in einem imaginären seelenmüll-endlager auf nimmerwiedersehen zu versenken? kann das gelingen? ich nehme an, ich werde hilfe brauchen.

mein leben lang schon wollte ich am meer leben. wann, wenn nicht jetzt? warum nicht die wechseljahre mit einem weiteren großen wechsel einläuten, wenn ich sieben mal sieben jahre gelebt habe?

also lasse ich diesen gedanken mal zu, schaue im internet nach wohnungsangeboten, sondiere den arbeitsmarkt. warnemünde gefällt mir gut. aber da lege ich mich jetzt noch nicht fest. auch in wismar hat es mir gut gefallen. sonst habe ich hier ja bislang noch nicht viel gesehen.

ich weiß nur, dass ich diese landschaft mit dem weiten horizont und dem hohen himmel schon jetzt sehr mag. wie sich das gefühl entwickelt, wenn meeresrauschen womöglich alltag wird, das kann ich nicht hellsehen, müsste ich ausprobieren.

wer weiß. vielleicht gibt es ja doch eine möglichkeit, mir diesen traum zu verwirklichen – und dann schreibe ich auf das doofe schild: springen erbeten!


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Mittwoch, 11. August 2010

auf dem dach

da sitzt die möwe jeden abend und auch tagsüber ganz oft, immer an derselben stelle und lacht sich eins über uns tränentrinen auf der dachterrasse in der vierten kliniketage.


anfangs dachte ich, es sei eine lachmöwe. aber das ist sie oder er wohl nicht – auch wenn es sich für mich so anhört. aber sie sieht anders aus als die lachmöwen auf den bildern im internet. da ich von möwen bislang keine ahnung habe, erkenne ich die art nicht. gibt es eineN möwInnen-expertIn unter meinen geneigten leserInnen? dann bitte her mit der auflösung!

ich mag dieses lachen von hoch oben, über allem: es relativiert die dinge hier unten. mir hilft es jedenfalls, meine angelegenheiten für angemessen wichtig oder unwichtig zu halten, je nachdem.

die möwe mit ihrem heiteren schnabel bringt mich regelmäßig zum grinsen, ich mag sie sehr. andere mögen sie nicht so sehr und versuchen, ihr die lachenden rufe zu verbieten, indem sie in die hände klatschen und laut „kschscht-kscht“ rufen. in meinen ohren ist das sehr viel unangenehmer als ein möwenruf.

die möwe übrigens schert sich herzlich wenig um ihre menschlichen kritikerInnen. es bringt sie eher dazu, sich noch ein paar kumpel einzuladen auf ihren dachausguck – und dann lachen sie im chor. hahhah!


heute bin ich seit zwei wochen hier. allmächlich fügt sich das, was „mit mir passiert“, zu einem bild. therapeutische puzzlesteinchen wachsen ineinander. da ich selbst mitten drin bin im prozess, ist es nicht leicht, einen schritt zurückzutreten und mich von außen zu betrachten, mir selbst zuzuschauen.

dennoch will ich das ein bißchen versuchen, weil ich selbst neugierig bin. wieder einmal bin ich mein eigenes überraschungspaket. keine ahnung, was drin ist. keine ahnung, wo es hingeht.

die diagnose PTBS, von der ich anfangs etwas überrumpelt war, wird hier sehr ernst genommen. ich darf alles in meinem tempo machen. wann immer ich das gefühl habe, dass mir etwas zuviel wird oder zu nahe geht, darf ich stop sagen. miteinander testen wir meine grenzen. mir scheint, das gesamte klinikpersonal ist daran beteiligt. manche sicher, ohne es zu wissen.

das lässt mir viel verantwortung – aber ich muss nicht mit allem alleine klarkommen. wann immer ich unterstützung brauche, ist jemand da. wenn nötig, wird schnellstmöglich ein termin gemacht mit der mich betreuenden ärztin und therapeutin. meist innerhalb weniger stunden.

ich fühle mich aufgehoben. die ärztin spricht alles direkt an, ungeschminkt – aber niemals respektlos. niemals von oben herab. immer authentisch. immer wohlwollend. das hilft mir sehr. stück für stück kann ich vertrauen, kann ich mich auch mal abgeben und folge ihren ideen gerne.

heute sagte sie mir, dass sie nicht davon ausgehen würde, dass ich diese klinik nach sechs wochen als geheilt verlassen würde. wir könnten versuchen, damit zu beginnen, mich ein stück weit zu stabilisieren. aber auch das würde länger dauern, ich solle geduld haben, nicht zu viel erwarten. weder von mir noch von anderen.

ziel sei, mich möglichst bald nach der reha in eine ambulante traumatherapie zu vermitteln. neue perspektive! auch wenn mir niemand versprechen kann, dass das erfolg haben wird.

sie sagte heute: ein trauma, das sich über so viele jahre (seit meiner frühen kindheit) hinweg aufgebaut – und in teilen auch mehr als einmal wiederholt - hat, sei nicht einfach zu behandeln. d'accord. also darf ich aufhören, mich selbst zu stressen und kann allmählich entspannnen.

leider gibt die rentenversicherung als träger vor, dass täglich mindestens vier anwendungen oder therapien stattfinden müssen, damit die rehab als ebensolche anerkannt und bezahlt wird. das zerhackstückt meinen tag.

sportliches, entspannendes, besprechendes, psychologisches, informierendes und nährendes wechseln sich ab von acht bis 16 uhr. dazwischen pausen bis ca. 60 minuten. warten und starten, immer abwechselnd. das ist für mich anstrengend. der viele leerlauf ist ermüdend. therapie mit angezogener handbremse.

meine lieblingsanwendung „klimatherapie“ steht täglich im plan, auch am wochenende – und wird duchgeführt durch selbständige „Bewegung in der Uferzone“ am „Ostseestrand“. sehr schön!

leider reicht die zeit kaum dazu, das mal in ruhe zu machen, weil zwischen zwei „therapien“ und/oder den eng gesteckten mahl-zeiten selten mehr als eine stunde pause ist und es sich daher wegen der langen umwege um das eingezäunte grand hotel bis ans meer nicht lohnt. kaum bin ich dort und höre endlich das meeresrauschen, das in ausreichend lang anhaltender dosis meinen tinnitus besänftigen könnte, muss ich auch schon wieder zurück zackzack!

ständig muss ich auf die uhr gucken. das ist doof. das trägt nicht zu meiner entspannung bei. ich muss andere wege finden!

zwischenzeitlich kriege ich einen richtigen hass auf diesen geldadeligen hotelzoo hinter edel-gittern. wenn karasek, joschka fischer, geissen und plathe dort doch wenigstens auch richtig eingesperrt wären …. aber nein! sie dürfen raus! ich muss ihnen auf der promenade ins gesicht sehen und werde schier grün vor lauter neid, weil die den kurzen 90-sekunden-weg ans meer nehmen dürfen und ich nicht.

dann wieder grinse ich mir eins und denke mir wie gut ich das doch habe, dass ich hier nicht nur ein, zwei nächte in heiligendamm bin, sondern satte sechs wochen. also hat so'n ollet trauma dann ooch auch mal wat jutet.

da lacht die möwe wieder! alles in allem bin ich froh und sehr dankbar, dass ich hier sein darf.


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Sonntag, 8. August 2010

hafenratte

was meerwasser angeht, so gehöre ich eher zu den leuten, die hauptsächlich darin herum plantschen.

es gibt andere, die bauen mit stoffbahnen überspannte hohlkörper, um sich auf und über das wasser zu bewegen.

warnemünde: leuchtturm / hanse sail 2010

das findet die meeressüchtige landratte in mir spannend. also bin ich gestern nach warnemünde geradelt und habe mir das große segelboot-meeting angesehen, die hanse sail 2010 in rostock.

ich war beeindruckt. stundenlang konnte ich auf der kaimauer am hafen sitzen, mit den beinen baumeln und schiffe gucken. das war gigantisch schön! etwas so erhabenes und erhebendes habe ich selten erlebt. so viele so große segelschiffe auf einmal habe ich sowieso noch nie gesehen.

wie ein kind habe ich gestaunt, habe mich sehr frei gefühlt, leicht und heiter - und konnte diesen therapiepausensamstag so richtig genießen.

von dem klinik-alltag hier mag ich zur zeit noch nicht erzählen. nur so viel, dass ich es sehr sehr anstrengend finde. die öffentlichen mahlzeiten zu eng gesteckten zeiten, wenn ich weder appetit noch hunger habe. die vielen fremden menschen, immer und überall. ich passe mich ein, so gut es geht.


ps.
die acht ist meine glückszahl. dass ich ausgerechnet am 08. august meinen 88. post veröffentliche, freut mich. es war nicht geplant.


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Mittwoch, 4. August 2010

4HfM

die kurze maßnahme no. 19 hat das rote eichhörnchen im haselstrauch mir beschert, als es mir vier noch grüne zaubernüsse vor die füße warf, gleich an meinem ersten tag hier.



nun spiele ich „vier haselnüsse für mo jour“: jedes mal, wenn ich ein kleines wunder brauche, nehme ich davon eine, kneife die augen ganz fest zu und werfe die nuss über die rechte schulter hinter mich.

nuss no. 1 hatte ich gleich eingesetzt, um in ein luftigeres zimmer umziehen zu dürfen. das hat hervorragend geklappt.

nuss no. 2 habe ich heute verbraucht, weil es im großen speisesaal mit 240 leuten so dermaßen unerträglich laut war, dass mein tinnitus verrückt gespielt hat und ich das essen nicht mehr geschmeckt habe. die mahlzeiten waren eine riesige belastung für mich. seit heute habe ich einen ruhigeren platz.

vier wunder für sechs wochen: das ist sehr viel. ich freu' mich schon auf die nächsten zwei!

…. alles ist, wie es soll.


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Sonntag, 1. August 2010

ptbs

eine neue diagnose, mit der ich mich erst einmal anfreunden muss. die ärztin hat es noch gar nicht mit mir besprochen. aber es steht als kürzel in meinem therapieplan, der mir am donnerstag ausgehändigt wurde.

grand hotel heiligendamm: rückansicht II

posttraumatische belastungsstörung. ich weiß, was es bedeutet und weiß es auch irgendwie nicht. schließlich lebe ich seit meiner frühen kindheit mit den symptomen.

dass „das“ eine eigene „krankheit“ ist, weiß ich erst seit wenigen jahren. dass es auf mich zutrifft, habe ich lange geahnt. scheinbar hat bisher nur niemand gewagt, laut auszusprechen und deutlich aufzuschreiben, was ist.

es beruhigt mich und hilft mir sehr, dass meine probleme - oder zumindest ein teil davon - nun einen namen haben. vor allem gibt es meinem aufenthalt und meiner behandlung hier eine neue richtung. ptbs macht andere maßnahmen notwendig als eine rezidivierende depressive störung mittleren bis schweren grades nicht genauer bezeichneter herkunft.

was mich hier im détail erwartet, weiß ich noch nicht. erst einmal habe ich die erlaubnis, in aller ruhe anzukommen und mich einzugewöhnen. meine seele ist noch lange nicht wieder bei mir. ich warte geduldig.

die ersten tage seit mittwoch waren unendlich schwierig für mich und sind es noch. als ich mein zimmer sah, wäre ich fast rückwärts wieder hinausgegangen, wollte auf dem absatz kehrt machen und sofort nix wie weg hier.

es war so beklemmend eng, die aussicht wie ein graues betonbrett direkt vor der nase, dass ich schier keine luft bekam und in den ersten beiden nächten so gut wie nicht geschlafen habe. atemnot, migräne, übelkeit, verzweiflung.

vorgestern hat man mir den umzug in ein anderes zimmer weiter oben ermöglicht. seither wird es leichter. nun schaue ich auf die straße und den bahnhof über den wald nach osten und sehe ganz viel himmel. wenn ich mich ganz weit aus dem fenster beuge, sehe ich ein kleines stückchen vom meer. ich schlafe wieder.

das programm der ersten tage war heftig voll zackzack ein termin jagte den nächsten, eine untersuchung an der anderen. lange flure auf und ab fremde türen suchen, lange vor und in behandlungszimmern sitzen und warten. das alles in neuer umgebung, hunderte von fremden menschen um mich herum, ständig neue gesichter.

ich fand es brutal, war total gestresst und überfordert. erst recht nach der langen reise und zwei schlaflosen nächten.

aber nun scheint es ruhiger zu werden. peu à peu kann ich mich um die dinge kümmern, dir mir selbst wichtig sind. für fast jedes anliegen gab es bislang ein offenes ohr und wohlwollende unterstützung. dafür bin ich sehr dankbar.

ich fühle mich gut aufgehoben. die ankunft meiner seele erwarte ich in kürze.

selbige hängt noch in duisburg, dort ist sie wohl unterwegs ausgestiegen, als wir durchs ruhrgebiet fuhren:

die ungeheuerlichen ereignisse bei der love parade am vergangenen samstag haben mich total gerissen. ich kenne diesen tunnel aus meiner kindheit. das ist ein endloses gruselding auch ohne menschenmassen.

dabei hatte ich mit der loveparade nie was am hut, mit lauter musik und tecchno (heißt das heutzutage überhaupt noch so?) sowieso nicht. im gegenteil. als ich noch in berlin lebte, habe ich regelmäßig geschimpft über den lärm und um meinen geliebten tiergarten gebangt.

der morgen danach war immer besonders schrecklich. die räumkolonnen der BSR in der 'straße des 17. juni' kamen kaum durch die berge von müll, überall stank es nach kloake. am schlimmsten aber war, dass überhaupt kein vogel mehr da war. kein zwitschern kein gar nix war zu hören. jedes jahr musste der park quasi neu aufgeforstet werden, weil die ravermeute alles kurz und klein getreten und totgepinkelt hatte.

aber das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun. erst recht nicht mit dem leid, das nun geschehen ist.

als ich am samstag, den 24. juli im online ticker so gegen 18 uhr die erste nachricht las, dass es bei der love parade in duisburg tote gegeben hatte, war ich gerade mit reisevorbereitungen beschäftigt. danach konnte ich mich auf nichts mehr konzentrieren.

am sonntag habe ich die koffer gepackt. ich habe unendlich lange dafür gebraucht, weil ich dieses unglück so ungeheuerlich, so absolut unfassbar fand. immer wieder habe ich nach neuen informationen gesucht.

inzwischen habe ich videos gesehen, die das geschehen dokumentieren. ich habe authentische blogs gelesen darüber wie grausam die situation war. ich fasse es nicht und sende kraft, licht und liebe den überlebenden und angehörigen.

ich habe versucht, mir jeglichen gedanken daran zu verbieten, weil es doch sowieso niemandem nutzt und nichts ungeschehen macht, wenn auch ich noch schockiert und heulend in der ecke sitze, obwohl ich gar nicht dabei war.

es half nichts. es ist nicht das aktuelle unglück allein, das mich so aufwühlt. es triggert alte bilder aus meiner kinderzeit in duisburg. der tunnel. der bahnhof. der große platz. der vergoldete anker, auf den der fiese großvater so stolz war.

im woolworth machte er das kleine mädchen zu seiner lolita mit knallrot geschminkten lippen. noch heute höre ich die leute tuscheln „hast du das gesehen, das ist ja schrecklich“. noch heute schmecke ich den billigen lippenstift.

es ist kein wunder, dass ich ziemlich aufgelöst hier ankam. auch die vergangenen monate am ungeliebten arbeitsplatz und die sogenannten „missbrauchsskandale“ stecken mir noch in den knochen.

ich war so dermaßen am ende meiner kraft, dass ich mich nicht einmal darüber freuen konnte, endlich am meer zu sein.

heute erst war ich mal baden. da hat es geregnet. das ist mal wieder typisch. es war trotzdem schön.

morgen beginnen die therapien, erst mal noch soft: in den ersten tagen geht es hauptsächlich um körperliche fitness und seelisches entspannen, um mich zu stabilisieren.

danach geht meine reise mehr nach innen. ich bin noch nicht sicher, in wie weit ich in den nächsten wochen die öffentlichkeit daran teilhaben lassen möchte und hier regelmäßig schreiben will. ich werde vieles umkrempeln und neu sortieren. das braucht zeit. meine zeit.

wenn mal länger nix kommt, dann seid gewiss: ich bin hier gut aufgehoben. wenn ich will, ist immer jemand für mich da.


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