Achtung. Achtung. Achtung.
Wir sind umgezogen!

Januar 2021

Das Büro für besondere Maßnahmen ist ab sofort erreichbar auf mojour.de

Nach und nach werden alte Beiträge – ggf. aktualisiert und überarbeitet – dorthin umziehen. Bitte folgen ... :-)

Donnerstag, 29. Dezember 2011

countdown

weniger als 100 stunden sind noch geblieben von 2011. es gilt, sie sinn- und liebevoll zu verbringen. ich habe da so diverse rituale, mit denen ich 'das alte jahr aufräume'.

jahresendrose 2011

eines davon: ich zähle meine rosen und lasse ihnen eine letzte aufmerksamkeit an-gedeihen. in diesem jahr habe ich mich von einigen getrennt, weil sie sich in den kübeln auf dem garagendach nicht mehr so recht wohlfühlten. sieben dornenfeen sind mir geblieben, schön und duftig, mit allem rosenrecht.

eine meiner sieben lieben trägt meinen namen und kam auf den markt im selben jahr, als ich von berlin hierher in den rosenwarmen südwesten der republik zog. die 'mo jour-rose' (in echt heißt sie natürlich ein kleines bißchen anders) hat das ganze jahr hindurch geblüht und tut es in diesem winter wundersamerweise immer noch. so lange dieses rosarosenrot so stark und so gesund ist, geht es mir im grunde gut und werde ich immer da wohnen bleiben, wo ich möchte. da bin ich mir sicher!

jahresendritual nummer 2: ich 'sortiere mein leben'. dazu schaue ich mir die tagebücher und notizen des zu ende gehenden jahres noch einmal an, ordne alles schön der reihe nach und packe es in die kiste zum rest meiner vergangenheit. ausatmen. loslassen.

nummer drei ist sehr persönlich: am silvesterabend lege ich die tarotkarten für den jahreszyklus. ich schaue mir an, was das nächste jahr bringt – und packe sie wieder weg und vergesse alles …. bis ich die karten zum nächsten silvester wieder hervorhole und nachschaue, ob's gestimmt hat.

ganz wichtig nummer 4 des kleeblatts: danke sagen! allen menschen und dingen und erfahrungen und träumen und gedanken und gefühlen, die mir begegnet sind und mein leben um ein weiteres jahr bereichert haben. danke!

ich gebe zu, dass mir das nicht immer leicht fällt. besonders in diesem jahr zwanzigelf war ich entsetzlich oft mit 'überleben' beschäftigt, weniger mit 'leben'. es gab und gibt eine menge ärger, auf den ich gerne verzichtet hätte.

[und NEIN! es ist nicht ALLES leid und nicht JEDE katastrophe zu irgend etwas nütze im leben. manche prüfung mag uns zu höchstleistungen antreiben, an denen wir wachsen und reifen. aber ganz sicher nicht ausnahmslos alles. einen ständigen existenzkampf zum beispiel, den braucht kein mensch. gewalt und missbrauch auch nicht. und auch nicht diverse naturkatastrophen. haut mir bloß ab damit!]

danke sagen – das ist ein prozess. das erledige ich nicht in einer halben stunde kurz vor mitternacht. das braucht die ganze woche zwischen weihnachten und silvester. eigentlich gehört täglich danke gesagt. im alltag vergesse ich das leider oft.

deswegen kommt mein DANKE in diesem jahr ganz laut und öffentlich. hier. im büro für besondere maßnahmen.


DANKE!
von herzen:
  • allen leserInnen und kommentatorInnen, fans und followers hier für aufmerksamkeit, zeit und energie
  • den besten freundInnen für zuhörende herzen, klar sprechende lippen und liebevolle augen-blicke
  • den allerbesten freundInnen für stundenlange telefonate, leckere essen und das aushalten meiner tränen
  • all meinen rosen für den schönsten duft der welt
  • der treppe vorm haus, dass sie mich nur einmal schmerzhaft hat stürzen lassen und nicht noch öfter [falls ich dieses 2011 jemals in meinen memoiren erwähnen werde, dann als das jahr, in dem ich den ganzen wunderbaren sommer über nicht ein einziges mal sandalen tragen konnte wegen des nicht heilen wollenden knöchels von mai bis oktober]
  • meinen kursteilnehmerinnen für kreativität und durchhaltevermögen
  • der einäugigen katze für zärtlich schnurrende zeiten
  • der psychosomatischen klinik emmendingen für eine mehr als schräge nulltherapie, die meine lebensgeister wiedererweckt hat
  • dem jobcenter, weil es – wenn auch widerwillig – die wohnungsmiete trotz amtlicher unangemessenheit dann doch das ganze jahr über bezahlt hat
  • meiner engagierten rechtsanwältin, die das jobcenter genau dazu gebracht hat, ohne mir ein horrendes honorar in rechnung zu stellen
  • meinen neuen arbeitgeberInnen für eine wunderbare chance kurz vor dem vollenden des halben jahrhunderts (da geht es mir gut – demnäxt mehr!)
  • ganz vielen anderen bloggerInnen, die mir mit texten und bildern und videos viele neue wunderbare impulse gegeben haben
  • meiner hulatanz-meisterin, die mich viel mehr lehrt als nur die hüften richtig zu schwingen
  • der sonne fürs licht
  • den sternen für glanz
  • dem meer für sein ständiges rauschen, obwohl wir uns in diesem jahr gar nicht gesehen haben: ich sterbe vor sehnsucht.
  • meinem tinnitus, der sich davon nicht beeindrucken lässt und mich warnt, wenn ich mal wieder gefahr laufe, auf der eigenen überholspur an mir selber vorbeizuleben
  • danke: to be continued ....

mein motto für 2011 war übrigens bestens gewählt:
„erwarte nichts. lebe genügsam von überraschungen.“ (alice walker)
das hat mich gut durchgebracht.
jetzt, gegen ende, sieht es sogar so aus, als ob ich das jahr mit satt gefüllter überraschungskiste verlasse. verhungern werde ich vorerst jedenfalls nicht.

der countdown läuft ....
keine fünfzig stunden mehr bis zum schicken schaltjahr 2012:
fangt's gut an!


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Sonntag, 18. Dezember 2011

wespen-stresstest

auch in diesem jahr hatte das büro für besondere maßnahmen im außenbereich wieder mehrere wespennester.

die letzte wespe 2011

im laufe der jahre habe ich mich daran gewöhnt, die wohnung nicht nur mit der katze, sondern auch mit allerlei anderen - nicht persönlich von mir eingeladenen - lebewesen zu teilen. schließlich bin ich hier auf dem lande.

was die wespen angeht, so kann ich inzwischen mehrere arten auf den ersten blick unterscheiden.

die feldwespen installieren ihre papierleichten kugelnester gerne unter der schrägen abdeckung meiner dachfenster. das erlaube ich ihnen bei den fenstern, die ich nur selten öffne: das zweite badezimmerfenster zum beispiel und das oberlicht im treppenhaus.

für alle anderen dachfenster habe ich einen rigiden wespennester-baustopp verhängt, den ich bei beginn der nest-bautätigkeiten im frühjahr persönlich aufs strengste überwache: schließlich will ich das büro für besondere maßnahmen lüften können, ohne von wespen gestochen zu werden.

jeder noch so kleinste ansatz von nestneubau wird daher sofort wieder entfernt, bis die wespen aufgeben. das ist ein heiterer wettkampf, der sich über wochen hinzieht: ich muss täglich alle fenster kontrollieren!

neu in diesem jahr war eine kolonie von wespen, die es sich außen am kühleren nordbalkon hinter der verkleidung des rolladenkastens gemütlich gemacht hatte. es waren hunderte! mit dem ergebnis, dass ich dort den sommer nicht ein einziges mal gewagt habe, das fenster von außen zu putzen.

wegen des langen sommers und des milden herbstes hier im markgräflerland hatten die balkonwespen ihr nest sehr lange in betrieb. als es kühler wurde, kamen sie zu dutzenden in die wohnung, klüngelten schläfrig und fast unbeweglich grüppchenweise in irgendwelchen ecken und lagen schließlich tot auf dem teppich. hunderte.

gestern beim staubsaugen fand ich die - hoffentlich! - letzte wespenleiche.

meine wespen sind zum glück ziemlich friedlich – zumindest mir gegenüber. gestochen hat mich dieses jahr nur eine. es war irgendwann anfang oktober, alle schon müde. ich saß bei offener balkontüre am schreibtisch, sie konnte kaum noch fliegen, krabbelte desorientiert auf dem teppich herum, mir über den nackten fuß und hinauf unter das hosenbein. ich bewegte mich, ZACK!

der stich vorne auf dem rist in knöchelhöhe hatte es in sich. ich entwickelte eine allergische reaktion. der ganze fuß schwoll so dick an, dass ich nicht mehr in die schuhe passte. nur noch in flipflops. der ganze fuß tat weh. heftiges brennen und jucken sowieso. die stichstelle wurde rot und innen hart. der knöchel war kaum zu bewegen.

inzwischen ist alles wieder gut. der fuß geheilt, das große wespennest verlassen.

fürs kommende jahr muss ich mir etwas neues überlegen. nicht auszudenken, wenn die nächste wespe näher am herzen sticht oder gar im gesicht. wenn ich auch da allergisch reagiere, ist damit nicht zu spaßen.

der hiesige wespenbeauftragte sagte zwar, dass die wespen nicht zurückkommen würden, weil sie nicht zweimal am selben ort ein nest bauen. ich bin jedoch nicht sicher, ob die balkonwespen das auch wissen und sich an die meinung des wespenexperten halten werden.

die feldwespen kommen schließlich auch jedes jahr zurück an „ihre“ dachfenster.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

bärenstark

wunder no. 7

manchmal passieren die dinge im leben so schnell, dass mir schier schwindlig wird. gerade so, als ob ich in einem dieser wirbelnden karusselldinger sitze und nicht mehr raus kann, obwohl mir längst schlecht ist vor lauter aufregung.

manchmal muss es eben Lindt sein. [danke k!]

ich brauchte die kraft einer bärin, um auf den füßen zu bleiben. da steh ich nun – und habe eine unbefristete arbeitsstelle. seit anfang des monats. teilzeit. in einem der größten verlage des landes.

nach den ersten arbeitstagen kann ich sagen: das ist im grunde genau die stelle, nach der ich seit gut zehn jahren gesucht habe. sie finanziert meine basis. fast. nur noch ein bißchen mehr, damit es auch für die wohnung reicht – und dann ist der rest fröhliche kür.

plötzlich stehe ich wieder ganz anders in der welt. klar: ich werde meine freien kapriolen fortsetzen! die kolumnen, die kurse, das büro für besondere maßnahmen. aber zunächst setze ich prioritäten: auf diesem neuen arbeitsplatz will ich nicht nur die probezeit überstehen!

die bezahlung ist …. übertariflich. die tarife sind zwar nicht so dolle, aber egal. immerhin ist es mehr als an der hochschule im vergangenen jahr.

die sache hat einen kleinen haken, den ich respektvoll vernachlässige, weil sonst alles stimmt: der unbefristete vertrag läuft über eine zeitarbeit. mein einsatz auf der jetzigen stelle ist zunächst auf mehrere monate befristet – allerdings mit ausdrücklicher übernahmeoption.

es geht um formalien: die arbeit ist da, aber der zusätzliche arbeitsplatz von der geschäftsleitung noch nicht bewilligt. also springt zunächst das budget für aushilfen ein, bis anderweitig fakten geschaffen wurden.

für mich ist das eine riesige chance! ich kann mich noch einmal neu orientieren, darf vieles dazulernen. muss mich zunächst nicht festlegen. darf reinschnuppern und mich bewähren. ich fasse es noch gar nicht, so groß ist mein glück.

es war alles anders als beim letzten stellenantritt vor ziemlich genau zwei jahren: die erste reaktion auf meine online-bewerbung bei der personalvermittlung (vor gut vier wochen) kam diesmal schon am selben tag. keine vierundzwanzig stunden später saß ich bereits im vorstellungsgespräch. der personaler freundlich, wertschätzend. keinerlei fangfragen! ein profi.

man werde meine unterlagen weitergeben und mich dem auftraggeber als geeignete bewerberin empfehlen. dann dauerte es zwei geduldige wochen, bis die rückmeldung kam: der verlag wollte mich kennen lernen, ende november. yesss!

ich starb vor aufregung und machte mit der besten freundin eine modenschau, um ein geeignetes outfit festzulegen. nach fast sechs jahren in hartzIV ist von den feinen vorzeige-klamotten der rundfunkredakteurin von damals nicht mehr viel übrig. ausgaben für textile neuanschaffungen sind derzeit nicht vorgesehen. wir fanden einen kompromiss aus second hand, unkaputtbarem hess natur und italienischen schuhen.

neu für mich: für einen einzigen job zu zwei verschiedenen vorstellungsgesprächen zu gehen. meine aufregung war enorm, der gemessene blutdruck lag knapp unter 200. ich habe es ausgehalten.

aber auch das zweite gespräch verlief sehr angenehm: sachlich, freundlich, professionell. wertschätzend. gar kein personaler dabei. statt dessen der abteilungsleiter und der redaktionsleiter – also genau die menschen, mit denen ich nun im arbeitsalltag zu tun habe.

danach hatte ich zwar ein gutes gefühl, war aber total verunsichert. zu viele demütigungen habe ich erfahren in den vergangenen jahren, zu viele leere versprechungen gehört. zu stark die konkurrenz: oft hatten nur nuancen den ausschlag gegeben. immer hatte ich verloren. die bewerbungen habe ich schon längst nicht mehr gezählt.

diesmal habe ich gewonnen. der erlösende anruf kam gleich am tag darauf: arbeitsbeginn in wenigen tagen! das war vergangene woche. inzwischen stecke ich schon mitten in der einarbeitung.

nun bin ich wieder teil der erwerbstätigen bevölkerung. mein leben hat einen rahmen, in den ich mich einfügen kann. das wort 'freizeit' bekommt einen stellenwert, den es lange nicht hatte. welch ein genuss!

täglich gehe ich hinaus in die welt, erledige meine aufgaben in einem kleinen, kollegialen team. ich werde gesehen.

dass es das wieder gibt für mich, empfinde ich als großes wunder. ich hatte nicht mehr daran geglaubt. nun ist es einfach so. es geht mir sehr sehr gut damit.

nicht so gut geht es mir mit dem ergänzenden arbeitslosengeld 2, auf das ich zunächst noch angewiesen bin: 'eigentlich' sollte jetzt das jobcenter ein einsehen haben und mir die wohnung lassen. wo ich doch meinen lebensunterhalt zum größten teil endlich wieder selbst verdiene.

aber pustekuchen: erst gestern kam ein neuer bescheid, dass meine miete ab 01.01.2012 nur noch 'in angemessener höhe' anerkannt werden soll. dann reicht mein eigener verdienst nicht mehr zum leben: nach abzug der miete bleiben mir noch knappe 150 euro für lebensmittel, strom, telefon/internet, versicherungen etc.

ich bin also weiterhin mit überleben beschäftigt. trotz allem: mein motto für dieses jahr war gut gewählt: „erwarte nichts. lebe genügsam von überraschungen.“

es bewahrheitet sich nun, dass ich sogar darauf vertrauen kann. diese überraschung zum jahresende, der unbefristete vertrag, macht mich fast satt. ein paar bären sind noch übrig, für noch mehr kraft, die ich jetzt dringend brauchen werde.

ich habe einen bärenhunger!


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Donnerstag, 1. Dezember 2011

mehr licht

ziemlich genau fünf wochen ist es nun her, dass ich wegen heftigst konkreter suizidgedanken in der psychiatrischen klinik war. die fünf tage, die ich dort verbracht habe, hatten und haben für mich große nachwirkungen.

ich schrieb ja bereits, dass durch die organisierte nichtbehandlung, die ich dort erfuhr, wie durch ein wunder meine inneren selbstheilungskräfte aufs schönste reaktiviert wurden.

im außen wurde dies noch unterstützt durch eine enorme klimatische veränderung in meinem wohnumfeld. die schöne aussicht in meinem 'büro für besondere maßnahmen' ist noch schöner geworden:

der baum ist weg. der riesengroße dunkelgrüne baum direkt vorm fenster ist nicht mehr. vorm balkon also nun keine grüne wand mehr, die meinen blick verdunkelt.


die hausbesitzer mussten den stattlichen, mehr als dreißig jahre alten blauglockenbaum fällen lassen, weil er sehr nah am haus stand und die wurzeln das fundament angegriffen haben. viertelmeterbreite mauerspalten taten sich auf!

zum anderen war er von innen verfault, die dicken äste und teile des stammes waren hohl. wir alle hatten angst vor einem großen unglück bei jedem gewitter!

der abschied von meinem schönen märchenbaum war zunächst auch traurig. ab sofort keine blaue glockenelfe mehr, die mich mit nussschalen bewirft. kein schwarzweißer buntspecht mit rotem käppi, der mich schon frühmorgens ausdauernd wachklopft. auch kein heiserer grünspecht mehr, dessen ruf klang, als ob er mich wiehernd auslachte.

die frechen spatzen und die munteren meisen zwitschern und tschilpen nun in der hecke. nicht weit weg. aber keine flugversuche des nachwuchses mehr direkt vor meinen augen (und dem der katze).

auch die amsel hat einen neuen platz gefunden, ebenso wie die schwarzen krähen:


das ist also meine neue aussicht: freie sicht aufs schönste bergundtalpanorama. fürs erste wurde auch gleich in der nachbarschaft ein mobiler ersatzbaum installiert. das soll wohl den abschied vom echten baum etwas erleichtern. mein ausblick übers tal ist dem der krähen gleich. wie die meckeropas in der muppetshow hocken die zwei dort oben und mokieren sich über die kleine welt da unten. ich mokiere mit.

der amselmann sitzt nun nicht mehr oben im baum, sondern auf der obersten kranetage und übt schon mal neue strophen fürs frühjahr, die treue flötenseele.

im büro für besondere maßnahmen ist jetzt mehr licht – die sonne scheint mir direkt herein. manchmal blendet sie mich beim arbeiten. dann sitze ich mit sonnenbrille vor dem klapprechner.

es ist auch wärmer geworden in der wohnung: ich darf keine schokolade mehr liegen lassen auf dem tisch. also esse ich sie gleich. das kommt mir entgegen.

wie es im sommer wird, wenn kein grünes schattendach mein nest unterm giebel mehr kühlen wird, bleibt abzuwarten.

auch das mikroklima im ganzen haus wird sich ändern. wenn auch der hausbesitzer mit seinen nicht nur lärmenden, sondern auch erdbebenden heimwerkergeräten mir erhalten bleibt. gerade jetzt ist er damit beschäftigt, den von den baumfäll- und baumstumpfausgrabearbeiten leicht ramponierten garten mit einem benzinmotorbetriebenen vertikutierer der marke extralaut gründlichst umzupflügen. mit getöse! seit einer dreiviertelstunde! schließlich sollen die vierzig quadratmeter wiese bis zum nächsten frühjahr wieder zum gestriegelten golfrasen getrimmt werden ....

man hätte denken können, dass ich mich an diesem ungewöhnlich warmen ersten dezembernachmittag auch mal mit einem kaffee auf den balkon hätte setzen können. aber bei dem lärm ertrage ich das nicht.

naja. irgend was is' immer, das wissen wir ja schon. daher genieße ich heute nur das neue licht. auch das tut mir schon gut, geht mir unter die haut bis ins herz: es ist, als ob ich in eine andere, noch schönere wohnung zurückgekehrt wäre.

das gibt mir neue kraft. nicht nur die real existierende aussicht, auch meine lebensan- und aussichten werden wieder lichter. manches ändert sich. ich ändere mich, kann plötzlich das eine oder andere heiterer sehen, lasse die dinge ein wenig entspannter auf mich zukommen und an mir vorbeifließen.

ich kümmere mich um zeugs, das schon lange unerledigt herumlag und mich – stumm vorwurfsvoll – belastetete. nun räume ich's auf und weg, repariere und sortiere aus. eins nach dem andern. das macht ein aufgeräumtes gefühl. neues kommt auf mich zu, das spüre ich genau.

es ist noch längst nicht alles wieder 'gut' in meinem leben. aber vieles ist gut auf den weg gebracht. gleichzeitig bin ich völlig verwundert, wo so viel alte und neue kräfte plötzlich herkommen. schön ist das, und ich genieße es sehr!

eine von euch schrieb mir im sommer in die kommentare „man soll nicht fünf minuten vor dem wunder die hoffnung aufgeben.“ also habe ich die hoffnung nicht aufgegeben. das war mal ne echte besondere maßnahme! und siehe da: die energie von 'mehr licht' ist ein wunder, ganz sicher.

ein weit größeres wunder ist übrigens derzeit noch >>>in arbeit. davon mehr, sobald es vollbracht ist!


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Sonntag, 20. November 2011

totensonntag

kurze maßnahme no. 25

ein spaziergang im
lichten novemberblaugrau
auf dem großen friedhof der stadt

friedhofsbewässerung

strenge ruhe. die toten werden nicht laut gefeiert.
alles nicht mehr lebendige an seinem platz,
bis in die ewigkeit
kein ruheloses hin und her.
auch lebensbäume, efeu und buchs wo sie hingehören,
unveränderlich immergrün.

aus versehen gelacht. strafende blicke geerntet.

nur die gießkannen
durften sonnengelb leuchtend
einen plätschernden plausch halten.


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Montag, 14. November 2011

männerverträge

in der schule haben wir ungefähr in der sechsten klasse das grundgesetz besprochen. wie wichtig das sei und dass es für alle gilt. besonders artikel 3 hatte es mir angetan. da steht unter anderem:
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
das habe ich damals geglaubt. ich ging davon aus, dass das gerechterweise in alle richtungen gilt. man möge mir meine leichtgläubigkeit verzeihen. ich war ja noch ein kind.

hurenzelt

in der schule wurde ich später gesiezt und mit 'fräulein xx' angesprochen, die wenigen jungen herren aber niemals mit 'herrlein' oder – passender, da ich ja nicht 'damelein' hieß – 'männlein'. die jungs waren ohne umweg über eine verniedlichung gleich 'herr xy'.

das wort 'mobbing' war noch nicht erfunden. aber aus eigener erfahrungn wusste ich schon, wie schlimm es sich anfühlt, ignoriert und nicht für voll genommen zu werden. die eltern beherrschten das perfekt. es war, als käme ich in der familie nicht vor. sie kannten meinen namen nur dann, wenn sie vor anderen über mich herzogen oder wenn ich das missfallen meiner erziehungsberechtigten erregt hatte: mit drohendem unterton.

ansonsten war ich quasi nicht existent und hatte für mich selbst zu sorgen. das tat ich dann auch. ich fühlte mich ungeborgen, hatte oft angst und habe schon als studentin mit den zähnen geknirscht.

ich hatte also früh gelernt: wer für nicht erwähnenswert gehalten und ignoriert wird, wird benachteiligt (gemobbt) und ist nicht gleichberechtigt. ergo: wer frauen aus der sprache ausschließt, steht nicht auf dem boden des grundgesetzes.

ich studierte unter anderen brotlosen geisteswissenschaften auch philosophie und stellte fest: ich komme (fast) nicht vor. wenn der herr philosoph von menschen sprach, meinte er 'männer'. sprach er von frauen, schrieb er das explizit und meistens negativ. auch die herren philosophen bewegten sich also keineswegs immer auf den pfaden des grundgesetzes. sie waren ja auch meist schon viel älter und zu ihrer zeit gab es das noch nicht. trotzdem waren ihre worte oft gesetz und deren verbreitung an philosophischen seminaren wurde mit viel öffentlichem geld gefördert.

das gefiel mir nicht. irgendwann bekam ich annegret stopczyks nachschlagewerk in die finger: „was philosophen über frauen denken“ (Mathes & Seitz, 1980). als ich das buch durchhatte, war mir schlecht: so dermaßen schlecht dachten die kerle zumeist über unsereins. falls mal einer ausnahmsweiswe gut über uns dachte, wurde er gleich von seinen zeitgenossen auf dem scheiterhaufen verbrannt (giordano bruno). wutentbrannt warf ich die kaltschleimigen frösche kant, schopenhauer, nietzsche, heigegger und wie sie alle hießen an die wand. sie verwandelten sich nicht in prinzen, sie hatten ihre daseinsberechtigung verwirkt. zähneknirschend studierte ich dann doch zumindest so lange weiter, bis ich alle voraussetzungen für die zulassung zur abschlussarbeit erfüllte.

was bei den philosophen gang und gäbe war – nämlich dass frauen nicht weiter erwähnenswerte nebengeschöpfe sind – fiel mir mehr und mehr auch in allen möglichen alltagsbereichen auf. ganz besonders ärgert es mich in formularen und verträgen, wenn ich - noch heute! - als mann angesprochen werde und als solcher unterschreiben soll: unter dem strich, auf dem ich meine emma normalmensch verzeichnen soll, stehen leider auch im jahre elf des dritten jahrtausends immer noch und viel zu häufig männliche wörter wie: „Kunde, Antragsteller (arbeitsamt), Rundfunkteilnehmer (GEZ), Kontoinhaber (banken), Versicherungsnehmer (versicherungen, versicherungsmaklerInnen) ….“

„aber nun seien sie doch nicht so zickig,“ heißt es gerne chauvial von oben herab, wenn ich auf die grundgesetzlich garantierte gleichberechtigung verweise und um eine zumindest geschlechtsneutrale formulierung bitte, die ich frohgemut unterzeichnen könnte. „es sind doch der einfacheren lesbarkeit halber immer beide geschlechter gemeint.“

pah. faule ausrede und verlogen obendrein! erst kürzlich (2009) schrieb eine deutsche zeitung (in etwa): „der deutsche durchschnittsbürger .... lebt allein auf 42m² .... hat 1,4 handies .... 0,75 autos .... 0,1 motorrad .... und einen 14,5cm langen penis im erigierten zustand.“ solange solche sätze in deutschen texten stehen dürfen, solange ist das argument 'frauen sind in der männlichen sprachform immer mitgemeint' schlichtweg unzutreffend.

weiterhin: sogar die UNESCO weiß, dass die deutsche sprache zu einer gewissen geschlechter-ungerechtigkeit neigt. sie weiß weiter, dass es ohne die sichtbarmachung von frauen in der sprache keine gleichberechtigung gibt, wie sie im grundgesetz garantiert wird. ihre „Richtlinien für einen nicht-sexistischen Sprachgebrauch“ - datieren aus dem jahr 1993 und sind noch längst nicht überholt, leider.

das habe ich erst neulich wieder festgestellt, als ich – wie bereits berichtet – mit meinen paar kröten zu einer good bank wandern wollte. fast alle formulare, AGB, infos etc. waren in der männlichen form gehalten. pffft. ich schrieb an den kundenservice, dass ich nicht kundin werden wolle, wenn sie frauen nicht als kundinnen wahrnehmen. die GLS antwortete sehr nett, dass sie eigentlich alle texte längst gegendert hätten und sich das nicht erklären könnten. man werde dem sofort nachgehen. schließlich hätten sie eine entsprechende ethik. nur leider leider, die formulare kämen von einem juristischen, sehr 'konservativen' verlag – die könne man nicht ändern. liebe GLS, ich überleg's mir noch!

besonders grimmig aber bin ich derzeit mit einer deutschen versicherung, die extrem hochglanzfreundlich um mich warb und mir in kooperation mit meiner krankenkasse eine ergänzende zahnersatzversicherung verkaufen wollte.

als ich bei der versicherung anrief und freundlich, aber bestimmt darauf hinwies, dass das antragsformular nicht mehr zeitgemäß - da nur für männliche antragsteller - sei, damit frauen diskriminiere und gegen das grundgesetz verstoße, war die antwort des forschen hotline-schnösels etwa so: „da sind Sie zu pingelig. wir reden Sie im briefkopf an mit 'Frau mo jour', wir bieten einen frauentarif - was wollen Sie denn noch? ist Ihnen denn unser gutes preisleistungs-leistungs-verhältnis egal?“

„bei nazis kaufe ich auch nicht, und wenn die noch so billig sind. ich möchte als kundin wahrgenommen werden, und wenn Sie mich als solche nicht respektieren, dann will ich ihre kundin nicht sein.“ - darauf beendete er das gespräch mit dem satz „dann wollen wir Sie als kunde auch nicht haben“ und legte auf.

ich war platt und habe sofort alle anderen verträge bei dieser versicherung gekündigt. tja. dumm gelaufen.

nun überlege ich trotzdem hin und her, ob ich den antrag nicht doch als mann unterschreibe, zähneknirschend. die konditionen sind in der tat ziemlich gut: die zerknirschten zähne würden dann von der versicherung ersetzt.


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Mittwoch, 9. November 2011

begegnungen

notizen aus dem landeskrankenhaus . 3

Der eine sucht einen Geburtshelfer für seine Gedanken, 
der andre einen, dem er helfen kann: so entsteht ein gutes Gespräch. 
(F. Nietzsche)

das war einer der besseren texte, die in mein poesiealbum geschrieben wurden. er kam von meiner geliebten kunstlehrerin – und begleitet mich bis heute. besonders in therapeutischen situationen kommt er mir in den sinn. meine tage in der klinik waren eine solche - auch wenn ich dort niemals einer therapeutin unter vier augen begegnet bin.


anderer begegnungen hingegen waren viele: mitpatientInnen, pflegepersonal. wer wohnte mit mir im kuckucksnest? solche und solche: wie im richtigen leben. und wie im richtigen leben versucht man, gleichgesinnte mit ähnlicher wellenlänge zu finden – um sicht nicht ständig vorzukommen wie eine wahnsinnige minderheit, die aus nur einer einzigen person besteht: man selbst.

wen mochte ich? wen mochte ich nicht? wem sah ich in die augen? wem hörte ich zu? wem stellte ich fragen? bei wem blieb ich stehen, an wem lief ich vorbei? bei genauerem hinsehen habe ich dabei viel über mich selbst gelernt. aus mir angenehmen begegnungen ebenso wie aus den eher unangenehmen.


mr. wang*
der asiatisch aussehende herr wang fiel mir auf, weil er oft alleine in der stationsküche saß, direkt neben dem radio. er hörte den deutschlandfunk. stundenlang. sein schulterlanges schwarzhaar hatte er im nacken zu einem lockeren pferdeschwanz gebunden. er war sehr für sich, gleichzeitig hellwach. die dunklen augen blitzten mal melancholisch, mal vergnügt. eines morgens hatte er eines der essenstabletts vor sich auf dem küchentisch, darauf ein gutes dutzend verschiedener pilzsorten: „die habe ich alle heute früh im garten ums haus herum gefunden.“ hoch konzentriert forschte er in einem dicken pilzbestimmungsbuch nach der identifikation seiner funde. „ich übe für meine kinder.“ sein fließendes deutsch war akzentfrei. wir sprachen lange und sehr philosophisch, hatten einen wunderbaren austausch – tief und humorvoll. sein schöner mund lachte gern. über unsere diagnosen sprachen wir nicht. er war in der achten wochen dort, kurz vor der entlassung: „ich hätte mir die zeit hier auch sparen können.“ wann immer wir uns in den fluren begegneten oder im aufenthaltsraum, zwinkerten wir uns zu.


frau taxilan*
frau taxilan nannte sich selbst so, weil das 'ihr' medikament war. sie wirkte oft desorientiert und etwas schläfrig. „die geben mir das, damit ich meine gedanken besser sortieren kann. ja. das haben die ärzte so gesagt. die gedanken besser sortieren.“ dabei schaute sie unsicher und kicherte gleichzeitig in die runde. „und was mache ich? ich plappere nur noch unsortiert vor mich hin, der letzte scheiß purzelt mir aus dem mund.“ selbst mutter von drei kindern, wirkte sie seltsam kindlich, wunderschön in ihrer verletzlichkeit. „die sind jetzt allein zu hause, die wollen mich nicht zurück. ich bin ja auch zu nichts nütze.“ ich mochte sie sehr. wann immer möglich, setzte ich mich bei den mahlzeiten in ihre nähe. ihre traurige heiterkeit tröstete mich. ich hätte sie gern in den arm genommen.


frau müllermayerschmitz*
es gibt sie auf jeder station, glaube ich: die altgediente krankenschwester, seit anbeginn in genau dieser klinik beschäftigt. mit allen wasser gewaschen, kompetent, souverän – und mensch geblieben. frau müllermayerschmitz war die geborene pflegerin, der personifizierte krankenengel und sah auch so aus: lange blonde locken, immer ein warmherziges lächeln im gesicht. sie hatte für alles ein ohr, wimmelte einen nie unfreundlich ab. wenn sie doch einmal ein „nein das geht jetzt nicht“ von sich gab, dann klang selbst das wie ein virtuelle kuscheldecke. sie war mitfühlend, ohne selbst mitzuleiden. der fels in der brandung depressiver tränenströme, ihre anwesenheit ein geschenk. sie sagte „wir wollen, dass Sie sich hier wohl fühlen.“ das habe ich ihr aufs wort geglaubt – auch wenn es mir letztlich nicht gelungen ist.


frau zickigzackig*
auch eine frau zickigzackig gibt es wohl im pflegeteam jeder station: für frau zickigzackig sind die patientInnen nicht der inhalt ihrer arbeit, sondern unangenehme störenfriede, die reinste belästigung. sie wirkt überfordert, kennt nur schema F. wehe, die patientin passt da nicht hinein. sie brachte es fertig, mich mitten im abendessen vor versammelter patientInnenschar lautstark und quer durch den saal für etwas runterzuputzen, das gar nicht in meiner verantwortung lag. als ich versuchte, den irrtum aufzuklären, blaffte sie nur „darüber diskutiere ich nicht“, machte auf dem absatz kehrt und stapfte zurück in ihren glaskasten. so etwas lasse ich nicht auf mir sitzen, so lasse ich mich nicht behandeln. mag sein, ich bin depressiv. aber ich bin weder debil noch delinquent. ich war verletzt und wütend, ging ihr nach und wollte die angelegenheit gerne klären. frau zickigzackig blaffte weiter „geht es Ihnen nicht gut? wollen Sie eine tablette?“ ruhiges reden war nicht möglich. ganz egal, ob ich nun einen termin verpasst hatte oder nicht (ich hatte nicht) – der ton macht die musik, und der ihre war nicht angemessen. frau zickigzackig wurde immer patziger: „na gut, wenn sie unbedingt wollen, dann entschuldige ich mich eben.“ auch das ist typisch: frau zickigzackig bittet nicht um entschuldigung, sondern entschuldigt sich gleich selbst. gerne auch mal in verbindung mit dem imperativ: „Sie müssen schon entschuldigen!“ ich muss gar nichts. da beisst sie bei mir auf granit.


signore rossi*
eine letzte freundliche begegnung hatte ich beim verlassen der klinik, das gepäck schon geschultert. der kleine herr rossi sah mich mit großen augen an: „was denn? gehst du schon wieder? du bist doch gerade erst gekommen.“ ja. ich gehe. „das hätte ich mal besser auch gleich am anfang gemacht. ich bin jetzt zwei monate hier, und das hat überhaupt nichts gebracht. heute hatte ich mein abschlussgespräch, nächste woche gehe ich heim. weil ich nicht schlafen konnte, haben sie mir ein medikament gegeben, die ganze zeit. ich habe am anfang drei mal nachgefragt, ob das auch nicht süchtig macht. 'neinnein das macht nicht abhängig, seien Sie ganz beruhigt.' aber heute hat der arzt sich verplappert: 'den entzug von dem schlafmitt... … äääääääääh …. das medikament können sie ja dann zu hause langsam absetzen.' du machst es ganz richtig, wenn du wieder gehst.“ wir wünschten uns gegenseitig glück und alles gute. wir konnten es beide gebrauchen.


*ps
alle namen sind frei erfunden.
die wahren abenteuer sind sowieso alle nur im kopf.


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Sonntag, 6. November 2011

honig sei dank!

kurze maßnahme no. 24

da ich alleine lebe, passiert in meinem alltag nur selten etwas, das ich nicht selbst geplant und vorbereitet habe. noch seltener passiert es, dass sich in meiner wohnung dinge befinden, die ich nicht selbst hereingetragen habe.


genau ein solches ding aber fand sich vor einer woche bei meiner rückkehr aus dem krankenhaus auf meinem großen tafeltisch: ein hübsches kleines päckchen, eingewickelt wie früher in glänzendes braunes packpapier und sorgfältig von hand beschriftet.

was das wohl sein konnte? und von wem? ich kramte in meinem hochkarätigen kombinierkästchen nach möglichkeiten: hatte ich etwas bestellt oder bei ebay ersteigert, das noch nicht angekommen war? auch geburtstag hatte ich nicht, hochzeitstag habe ich keinen und pulitzerpreise kommen nicht mit der post.

ich liebe geheimnisvolle pakete, dann bin ich wie ein kind: ritschratsch runter mit dem papier und reingeguckt!

ein honig war drin, von maltesischen bienchen im thymian gesammelt, den mir eine treue leserin von ihrer ferienreise mitgebracht und quer durch die republik geschickt hat. dazu ein paar schnuckels für den katzebutz und ein handgeschriebener brief.

sehr geehrte Frau Dinktoc, mit diesem geschenk haben Sie mich zu tränen gerührt. zum einen, weil ich honig so sehr liebe. zum anderen, weil es gar nicht anders sein kann, als dass Sie die ganze zeit an mich gedacht haben: vor dem einkauf, beim aussuchen, bezahlen, transportieren, verpacken, zur post bringen. so viel zuwendung! zum dritten, weil ausgerechnet honig so schwer(wiegend) ist im koffer und heikel. nichts ist trauriger als klebrig süße scherben im gepäck.

der honig ist köstlich und kostbar – und stillt meine unterschwellige sehnsucht nach südlicher zuwendung.

ich freue mich sehr und sende ein herzliches DANKE!!! welch eine besondere maßnahme! dafür hätten Sie glatt noch einen preis verdient!

möge das gute, das Sie aussenden, in vielfacher weise zu Ihnen zurückkehren.


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Donnerstag, 3. November 2011

dem kuckucksnest entflogen

notizen aus dem landeskrankenhaus . 2

anhand der überschrift könnt ihr's euch schon denken: ich habe die 'Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie' bereits wieder verlassen.

genau fünf tage lang habe ich es ausgehalten. in dieser zeit häuften sich die „ungereimtheiten“. geduld, wohlwollen und - ja! - auch neugier, die ich am anfang noch hatte, wichen immer mehr einem großen unwohlsein.


was mir im vergangenen jahr in der rehab in heiligendamm zu viel war – nämlich ein programm mit bis zu fünf verschiedenen therapien und terminen pro tag – gab es im landeskrankenhaus zu wenig: null therapie!

nach dem relativ kurzen aufnahmegespräch am ersten tag passierte nichts weiter, mal abgesehen von den gemeinsamen mahlzeiten und der 15-minütigen gruppenkurzvisite. ich hatte keine einzeltherapie, keine gruppentherapie, keine bewegungstherapie, auch keine sonstige 'freizeittherapie' wie kunst oder musik, töpfern oder seidenmalen. eine ganze woche lang. es gab noch nicht einmal ein gespräch darüber, welche art von therapie dort für mich überhaupt in frage kam. änderung der untätigkeit war also nicht in sicht.

ich war mir ganz selbst überlassen. zum glück finde ich es nicht weiter schwierig, mich allein zu beschäftigen und meinen tag möglichst sinnvoll zu verbringen. ich kann lesen, ich kann schreiben, ich kann spazieren gehen.

besonders letzteres tat ich dann auch ausführlich, es war ja schönes wetter. am tag meiner ankunft hatte ich noch hausarrest.

am zweiten tag marschierte ich auf dem klinikgelände, in dem schönen park unter den großen bäumen mit den freundlichen eichhörnchen, immer im ovalen rund. eine runde dauerte fünfzehn minuten. am ende hatte ich einen drehwurm und kannte jedes eichhörnchen mit namen.

am dritten tag marschierte ich vor dem klinikgelände, am bach entlang, immer auf und ab. die sonne schien mir ins gesicht und in den rücken, immer abwechselnd. in den tiefen meines mp3-players entdeckte ich musik, von der ich nicht einmal mehr wusste, dass ich sie jemals gespeichert hatte.

am dritten tag marschierte ich die berge hoch, immer weiter bis zur großen burgruine und wieder zurück. ich sah reiher fliegen und übers grüne feld staksen.

je weiter, länger und freier meine märsche wurden – desto schwieriger fiel es mir, in die enge, gedrückte klinikatmosphäre zurückzukehren. die vielen fremden menschen mit ihren traurigen gesichtern und anstrengenden geschichten überforderten mich.

der umstand, niemals wirklich allein sein zu können und immer unter beobachtung zu stehen, belastete mich von tag zu tag und von nacht zu nacht immer mehr. an runterkommen, an entspannung war nicht zu denken. die kopfschmerzen, der tinnitus und auch meine gereiztheit wurden schlimmer statt besser. ich war kurz davor, wieder rauchen oder trinken zu wollen.

zu zweit im zimmer (und das war schon die luxusvariante) kam ich nicht zur ruhe und schlief schlecht. wenigstens kam mir so ganz deutlich zu bewusstsein, dass ich zu hause wenigstens eines nicht habe: schlafprobleme. ich träume zwar regelmäßig schreckliches, schlafe aber ansonsten gut.

am vierten tag kam ich – oh wunder – in den genuss einer chefarztvisite und war angenehm überrascht. ich hatte fünfzehn minuten zeit, zu erzählen, wie es mir geht. dass ich tag für tag mit dem bleiben kämpfte, weil es nirgends ein echtes ausruhen gab. wir besprachen, dass es für mich sinnvoll sei, nur tagsüber zu kommen und die nächte zu hause zu verbringen, um dort kraft zu tanken und das erlebte verarbeiten zu können. eine variante, mit der ich gut leben konnte.

am nächsten – also meinem fünften - tag bislang therapiefreien aufenthalts sollte ich endlich die für mich zuständige ärztin und therapeutin kennenlernen und mit ihr dann alles besprechen für den status 'tagesklinik'. ich war erleichtert, hielt noch diese eine nacht durch, freute mich aufs wochenende zu hause. noch mehr solcher 'therapiefreier' tagen hielt ich für verschwendung sowohl meiner lebenszeit als auch von krankenkassengeldern.

der schock am nächsten morgen in der kurzvisite: die stationsärztin hatte scheinbar keine ahnung von dem, was in der chefarztvisite besprochen worden war. ich musste darum kämpfen, überhaupt noch einen gesprächstermin am gleichen tag, noch vor dem wochenende bei ihr zu erhalten. sie gestand mir 30 minuten zu.

aber auch in diesen dreißig minuten ging es nicht um meine therapie, sondern darum, dass ihrer meinung nach der status als tagespatientin für mich nicht in frage kam. dazu müsse ich vorher mindestens vier bis fünf wochen stationär behandelt werden. ich hätte es nicht einmal mehr vier bis fünf weitere tage ausgehalten.

ihrer meinung nach hatte ich den chefarzt falsch verstanden. sie rief ihn sogar an, angeblich. während des telefonats schickte sie mich aus dem zimmer.

als ich davon sprach, in der klinik keine ruhe zu finden, warf sie einen blick in meine akte, kriegte ganz große augen und rief entsetzt: „aber Sie nehmen ja gar keine medikamente!“ (und schien zu denken: „na kein wunder, dass die noch so aufmüpfig ist, das müssen wir mal schnell ändern....“)

ich hatte mit einigen mitpatientInnen gesprochen, hatte auch in den kurzvisiten vieles mitgekriegt. scheinbar war ich die einzige, die auf psychopharmaka verzichtete. bei den meisten anderen ging es hauptsächlich darum, ob und wie die medikamente wirken. das fand ich erschreckend.

in diesem augenblick jedenfalls knipste frau doktor ihr süßestes grinsen an und säuselte „versuchen Sie es doch einmal mit Lorazepam, und Sie werden erfahren, wie wohltuend die wirkung der medikamente sein kann ….“ - sie hatte die schachtel schon fast in der hand.

lorazepam. tavor. benzodiazepin. ich hörte imaginäre glocken läuten und sah dunkelrote lichter leuchten: altmodisches medikament zur ruhigstellung aus den 60er jahren des vorigen jahrhunderts. lange halbwertszeit. höchstes suchtpotential. stark sedierend. macht dick, dumm und dumpf.

„das geht mir zu schnell. ich möchte kein medikament nehmen, bevor ich nicht mehr darüber weiß.“ frau doktor sah auf die uhr: „das ist kein problem. ich habe noch zehn minuten zeit, da können wir das ganz ausführlich diskutieren.“

örx. saß ich in der klemme? „ich glaube nicht, dass es ein medikament dafür gibt, dass ich die situation hier besser aushalten kann. selbst wenn, dann scheint es mir nicht sinnvoll, hierzubleiben, wenn ich das nur unter dem einfluss starker medikamente ertrage.“

sie versuchte noch ein wenig, mir ein schlechtes gewissen zu machen und redete auf mich ein, dass ich doch unbedingt hilfe bräuchte, das sehe sie mir doch an – aber dann einigten wir uns darauf, dass ich sofort gehen konnte. ohne medikament, aber auch ohne tagesklinikoption.

o große göttin, was war ich erleichtert! zum ersten mal seit meinem check in anfang der woche konnte ich richtig frei atmen – so bedrückend hatte ich den klinikaufenthalt empfunden, wie eine strafe: da ging es mir schon schlecht, und dann musste ich auch noch ins landeskrankenhaus.

seit dem wochenende bin ich also wieder zu hause: sehr erleichtert, nicht auch noch einen medikamentenentzug machen zu müssen. die tage in dieser klinik werde ich abbuchen auf meinem 'lebenskonto erfahrungen sollseite'.

die depressionen sind natürlich nicht weg. keine wunderheilung. dennoch bin ich erstaunlicher weise sehr viel ruhiger, gelassener als vorher. ich liebe meine wohnung, fühle mich wohl hier und weiß einmal mehr, warum es sich dafür zu kämpfen lohnt.

während der paar tage im LKH habe ich viel seltsames erlebt. außerdem bin ich ganz wunderbaren menschen begegnet (und ein paar doofen …). ich habe gut für mich gesorgt und auf meine innere stimme gehört. das hat scheinbar ein stück weit meine seelischen selbstheilungskräfte aktiviert. es ist, als hätte jemand meinen inneren 'reset-knopf' gedrückt.

das ist gut. wir werden sehen.

fortsetzung folgt ....


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Montag, 31. Oktober 2011

check in: strange planet

notizen aus dem landeskrankenhaus . 1
[dieser text ist entstanden am 26.10.2011, dritter tag meines aufenthalts]

als ich am vorigen sonntag schrieb, dass ich nun in eine klinik gehe wegen meiner andauernden depressionen und zunehmenden tendenz, mich selbst zu verletzen, hatte ich keinerlei ahnung, was mich erwartet und worauf ich mich da eigentlich einlasse.


die tage und nächte davor war ich in angst und panik; habe das jobcenter verflucht, die klinik und die ganze welt, am allermeisten mich selbst - weil ich so unfähig bin, mit diesem entsetzlichen druck eines drohenden zwangsumzugs angemessen umzugehen.

anlass für die einweisung war meine unvorsichtige bemerkung der ärztin gegenüber, dass ich angesichts meiner hoffnungslosen alltagsumstände lieber tot wäre als lebendig. sie ist erschrocken und hat das sehr ernst genommen.

da sie der meinung war, dass es schnell gehen müsse und weil ich kassenpatientin bin, residiere ich nun im für meinen wohnort zuständigen landeskrankenhaus, dem ZPE. das zentrum für psychiatrie hat keinen sonderlich guten ruf, aber andere fachkliniken haben längere wartezeiten und fielen deswegen aus.

zusätzlich saßen schlimmste vorurteile und befürchtungen fest in meinem kopf: alte bilder aus der 50er-jahre-psychiatrie voller zwangsjacken, gummizellen, mit medikamenten dumpfgestellte zombiepatientInnen ....

ich schrieb ja bereits, dass ich dazu tendieren kann, es mir selbst schlecht gehen zu lassen, um andere zu bestrafen. so als ob ich selbst gift nähme in der hoffnung, dass die anderen daran zugrunde gehen, auch wenn sie nicht einmal den hauch einer ahnung davon haben, wie sehr sie mich verletzt und gedemütigt haben.

wartet's nur ab, dachte ich. nun gehe ich in die psychiatrie und ihr seid schuld, doofes jobcenter! ich bin schließlich nicht die erste kluge und starke frau, die an der brutalen männerwelt zugrunde geht und in der klapse landet (hierzu empfehle ich die wunderbaren bücher „Wahnsinnsfrauen“ I bis III von Luise F. Pusch).

um es vorweg zu nehmen: meine schlimmen und schlimmsten befürchtungen sind nicht in erfüllung gegangen. ich bin auf einer offenen psychotherapeutischen krisenstation gelandet. nicht in einem irrenhaus.

die meisten hier sind ausgesprochen nett zu mir. ich muss keine medikamente nehmen, wenn ich nicht will. ich werde nicht eingesperrt, darf mich nicht nur im haus und auf dem parkähnlichen, weiten klinikgelände frei bewegen, sondern auch ganz und gar rausgehen und bis sonstewo hinmarschieren - vorausgesetzt, ich sage vorher bescheid und bin rechtzeitig zur nachtruhe wieder zurück.

ich brauche keine zwangsjacke tragen und dämmre nicht sediert vor mich hin. auch bin ich nicht abgeschnitten von der welt: das handy auf dem zimmer ist erlaubt, das netbook darf ich – außerhalb der station - zur zeit zwei stunden am tag benutzen.

aus therapeutischen gründen nicht länger, und das reicht mir auch vorerst für einen täglichen text. allerdings muss ich mich dafür ins kühle kahle besucherzimmer setzen und jederzeit bereit sein, meine textsitzung sofort zu beenden, falls sich hier eineR der mitpatientInnen mit besuch aufhalten möchte.

sehr dankbar bin ich dafür, dass sofort ein bett auf der therapiestation frei war und ich nicht erst in die psychiatrische aufnahme musste. bis zu dreissig patientInnen leben im 'haus no.12' in zwei- und drei-bett-zimmern. ich habe großes glück, bin in einem zwei-betten-zimmer untergebracht.

es gibt keine wirkliche privatsphäre: katzenwäsche hinter dem vorhang am waschbecken im zimmer, duschbad für alle und toiletten sind ein stück den gang hinunter. ich bin es nicht gewohnt, zu jeder tages- und nachtzeit beobachtet zu werden, ständig für alle ansprechbar zu sein, mich ununterbrochen in gesellschaft zu bewegen. das finde ich sehr anstrengend.

das zimmer hat ein großes fenster auf den garten hinaus nach südwesten, sonne ab nachmittags bis zum sonnenuntergang. zu öffnen geht es nur einen spaltbreit, damit sich niemand hinunter stürzt. lüften ist dadurch etwas schwierig.

therapeutisch ist mir hier bislang noch nicht viel passiert. am ersten tag – also vorgestern - gab es ein aufnahmegespräch am späten nachmittag. gestern und heute eine sogenannte kurzvisite. da sitzen dann morgens um neun rund zehn patientInnen im kreis mit der zugeordneten therapeutin und erzählen alle in insgesamt etwa fünfzehn minuten, wie die nacht war und wie es ihnen geht. ungefähr 90 sekunden für jede. „vielen dank, mir geht es gut. keine beschwerde.“ passt.

ich freue mich über drei mahlzeiten am tag, die ich nicht selbst zubereiten muss. auch kein planen, kein einkauf vorher, kein abwasch und aufräumen danach. luxus! das essen selbst ist …. nicht weiter erwähnenswert.

die mahlzeiten selbst übrigens zählen als therapiezeiten. naja. besser als nichts. für wie lange ich hier sein werde? keine ahnung. wie die therapie konkret aussehen wird? keine ahnung. wann ich in den genuss meines ersten therapeutischen einzelgesprächs komme? keine ahnung. ich bin ja auch erst den dritten tag da.

schade, dass man mir das geld, das der aufenthalt hier kostet, nicht zur freien verfügung gibt. ich könnte mich einmieten in einem haus am meer, noch eine gute freundin mitnehmen und es mir für sehr lange zeit sehr gut gehen lassen.

man könnte das geld auch dem jobcenter geben. das würde - bei einem tagessatz von ca. 150 euro - meine wohnung für eine ziemlich lange zeit finanzieren.

ganz abgesehen davon, dass ich das arbeitslosengeld vielleicht gar nicht so lange bräuchte, wenn der ständige druck, überhaupt umziehen zu müssen und mir eine wohnung zu finden, die es gar nicht gibt, endlich wegfiele. eine krankschreibung habe ich jetzt „bis auf weiteres“. in dieser zeit kann ich weder arbeiten noch umziehen, koste also doppelt. das jobcenter macht mich nicht nur krank, sondern auch teuer für die allgemeinheit.

am liebsten würde ich eine lange, abenteuerliche weltreise von dem geld machen. aber die wird leider nicht von der krankenkasse finanziert.

fortsetzung folgt ….



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Sonntag, 23. Oktober 2011

ich bin dann auch mal weg

auch das schönste ehrenamt der welt kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich nach wie vor nicht ausreichend eigenes geld verdiene und auf ergänzendes arbeitslosengeld angewiesen bin.


seit der neuregelung der hartzIV-gesetze anfang des jahres 2011 ist es sogar noch etwas schwieriger geworden.

was habe ich mich anfangs gefreut über die 5 euro mehr im monat! schier geschämt habe ich mich, diesen betrag überhaupt anzunehmen für fundamentales nichtstun. und nicht nur das – es war ja noch viel mehr!

es gab nämlich eine versteckte erhöhung des regelsatzes dadurch, dass ich die kosten für mein warmes wasser zum duschen nicht mehr komplett aus dem regelsatz bestreiten muss. dort war es allerdings (von 2005 bis 2010) gar nicht erst berücksichtigt, so dass alle langzeiterwerbslosen (theoretisch) immer kalt duschen mussten.

das kann man doch auch mal erwarten. irgendwie muss der kreislauf schließlich in schwung gebracht werden, wenn unsereins schon nicht für geld arbeiten geht.

neuerdings – also seit april 2011 - sind wir laue warmduscherInnen mit staatlicher unterstützung! bis zu einem monatlichen betrag in höhe von 6,47 euro gehört das warme wasser jetzt zu den kosten der unterkunft. das ist voll der luxus! wenn ich ein bißchen spare, kann ich mir vielleicht auch mal wieder ein heißes ganzkörperbad leisten. im winter. wenn es kalt ist.

die neuregelung von alg2 ergab also insgesamt eine erhöhung des regelbedarfs um sagenhafte 11,47 euro im monat. ab januar 2012 werden es sogar noch 10 euro mehr. einfach so: für die pflege der faulen haut, die längst wundgelegen ist. ich weiß noch gar nicht wohin dann mit dem vielen geld.

nun aber mal die ironie abgeschaltet:

seitdem das alg2 um 5 euro erhöht wurde, muss ich von meinem monatlichen zuverdienst wesentlich mehr abgeben. ich bezahle die erhöhung also quasi aus eigener tasche – und das geht so:

nehmen wir mal an, ich hatte 2010 einen 400-euro-job (oder ein dozentenhonorar oder einen lektoratsauftrag oder was auch immer) und zusätzlich ein ehrenamt mit aufwandsentschädigung.

die aufwandsentschädigung fürs ehrenamt durfte ich bis zu einem betrag von 175 euro monatlich in voller höhe behalten. vom anderen einkommen durfte ich die ersten 100 euro behalten, vom rest 20 prozent, macht 160 euro. die freibeträge wurden addiert, ich durfte von 575 euro einnahmen 335 euro behalten.

seit diesem jahr gilt nur noch der höhere freibetrag, einkommen aus erwerbstätigkeit und ehrenamt werden nicht mehr unterschiedlich behandelt. das bedeutet, dass mir von 575 euro einnahmen nur noch 270 euro übrig bleiben. also 65 euro weniger als bisher. abzüglich der „erhöhung“ des regelsatzes habe ich dadurch jetzt monatlich 53,53 euro weniger zur verfügung als vorher.

frau von der leyen, unsere halbadelige bundesblondine mit keifestimme, hat also (in meinem beispielfall) eine kürzung des erlaubten zuverdiensts um 25 prozent durchgesetzt. oder auf deutsch: wer mehr arbeitet, wird auch mehr bestraft. herzlichen dank!

(die gesetzeslage dazu im einzelnen ist nachzulesen bei gegen-hartz.de)

darüberhinaus ist dem jobcenter scheinbar gar nicht daran gelegen, dass ich überhaupt arbeiten kann. nach wie vor torpedieren sie von dort meine gesundheit. trotz gegenteilig lautender fachärztlicher atteste werde ich weiter gezwungen, eine neue wohnung zu finden und umzuziehen. ich habe hier vor monaten mal darüber geschrieben.

neuerdings werden mir sogar sanktionen angedroht wegen angeblich unzureichender mitwirkung. die folge von alledem: durch den vom jobcenter ausgeübten zwang und druck, durch die hoffnungslose ausweglosigkeit der situation werde ich krank und kränker. seit anfang des jahres war ich - allein durchs amt verursacht - mehr als elf wochen arbeitsunfähig.

ich halte den druck nicht mehr aus, kriege die balance nicht mehr hin, entgleise mir immer öfter. einen rückfall in den alkohol konnte ich bislang zwar verhindern, aber der druck bricht sich bahn in sehr ungesunder selbstverletzung.

ich erschrecke über mich selbst und über die wucht meiner ohnmächtigen wut. inzwischen kann ich sogar die gedanken von selbstmordattentäterInnen nachvollziehen. meine schrecklichsten rachephantasien gehen in solche richtungen.

nein, habt keine angst um mich mich: für so ein zerstörerisches krawumm bin ich viel zu gut erzogen. statt dessen richte ich den hass gegen mich selbst. das ist, als ob ich selbst todesgift schlucke in der hoffnung, dass die anderen daran zugrunde gehen.

ich halte es nicht mehr aus, bin am ende meiner kraft, aber ich kann es aucht nicht selbst abstellen. deswegen bringe ich mich in sicherheit vor mir selbst, in eine therapeutische klinik. für länger. das jobcenter hat es also geschafft und mich krankenhausreif schikaniert.

„alle symptome eines burnout“ - sagte eine befreundete therapeutin. als erwerbslose kann/darf man aber natürlich keins haben. deswegen verschreibt die ärztin: „depressive dekompensation mit selbstmordgedanken“

auch in der klinik werde ich vieles aufschreiben. weil mein schreiben mir immer geholfen hat, erlebtes zu strukturieren, zu verarbeiten und zu genesen. ob ich dort aber einen internetanschluss habe oder ob ich überhaupt von dort texte veröffentlichen will, kann ich jetzt noch nicht sagen.

über kurz oder lang melde ich mich zurück, so viel ist sicher. habt es gut!


ps.
hier erzähle ich, wie's war:
teil 1

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Freitag, 7. Oktober 2011

working poor III

besondere maßnahme no. XXV

vor ein paar wochen ist es mir gelungen, eine neue beschäftigung an land zu ziehen. nein, keine feste stelle. bezahlte arbeit, die die menschen auch angemessen ernährt, scheint es immer weniger zu geben – erst recht nicht für sogenannte langzeitarbeitslose.

Gutedel im Markgräflerland

immerhin: ich habe ein neues ehrenamt ergattert und nehme nun teil am bürgerschaftlichen engagement mit aufwandsentschädigung.

das ist ... äähm .... toll!

mehrmals in der woche sitze ich in einem netten kleinen lieferwagen und fahre durch die kleinen dörfer in meinem derzeit besonders schönen rebenherbstland, bringe heiße mittagsmahlzeiten hin zu alten oder behinderten menschen, die nicht selbst kochen können. „essen auf rädern“ heißt das.

das gefällt mir: ich komme vor die tür, begegne menschen, bin in bewegung.

dafür erhalte ich siebeneinhalb euro die stunde aufwandsentschädigung (auch 'übungsleiterpauschale' genannt), steuerfrei bis zu einem gesamtbetrag von 2100 euro im jahr. da die organisatoren einer christlichen glaubensgemeinschaft angehören, bin ich nun sogar caritativ unterwegs im namen des herrn.

siebeneinhalb euro die stunde sind ziemlich viel gotteslohn. dafür spart der herr sich aber auch einen arbeitsvertrag: ich kriege zwar einen dienstplan, aber weder kranken- noch sozialversicherung noch urlaub. auch rentenanwartschaften erwerbe ich nicht.

so kommt der herr auch nicht in konflikt mit den gewerkschaften.

andere träger - wie zum beispiel die AWO - machen aus dieser art von arbeit zum gleichen stundenlohn einen korrekten 400-euro-job - und zahlen pauschale steuern und sozialversicherung von sich aus drauf. das weiß ich aus zuverlässiger quelle (winkewinke & danke!). aber der christengott ist caritativ, also habe ich es auch zu sein. wozu brauche ich lohnfortzahlung im krankheitsfall oder mal urlaub oder später rente? ich habe doch plenty hartz IV!

das beste: obwohl ich hartz IV habe, darf ich meine kleine aufwandsentschädigung behalten, bis zu einem betrag von 175 euro im monat. yeah! das ist der vorteil zum 400-euro-job. da wären maximal 160 euro selbstbehalt möglich.

also bin ich unendlich dankbar und nehme, was ich kriegen kann. ich bin alt und brauche das geld.

dass ich da überhaupt mitmachen darf, habe ich nur dem ehemaligen doktor herrn von und zu guttenberg zu verdanken: schließlich hat der den zivildienst abgeschafft. nun gibt es seit juli 2011 keine neuen zivis mehr.

billige mittagessenlieferanten und andere soziale bzw. zivile dienstleister werden händeringend gesucht. und zwar so dermaßen dringend, dass ich bei der 'informationsveranstaltung' (nicht: "einstellungsgespräch"!) weder nach dem führerschein noch nach meiner konfession gefragt wurde. aummm.

mit siebeneinhalb euro gehöre ich da direkt zu den besserverdienenden:

einige meiner kollegInnen sind 1-euro-jobberInnen. hartz IV plus maximal 160 euro monatlich zuverdienst für eine halbe stelle.

oder praktikantInnen: ein halbes oder ganzes jahr lang vollzeit für ein taschengeld von 200 euro monatlich. diese art von ausbeutung wird noch nicht einmal als freiwilliges soziales jahr anerkannt.

dann gibt es noch die engagierten aus dem bundesfreiwilligendienst. genau, das sind die mit der öbszönen, abwertenden abkürzung: bufdi.

wenn ich den hässlichen ausdruck 'bufdi' schon höre, kriege ich die krätze. welch eine unverschämt: schließlich sind das menschen, die hier ihre kostbare lebenszeit, ihre unwiederbringbare freizeit einfach so herschenken. für eine "taschengeld" genannte vergütung, die weit unter dem liegt, was ihre zeit und arbeit wert sind - und sogar noch weniger ist als das, was bis vor kurzem die zivis erhalten haben. hätte man für die keinen respektvolleren namen finden können?!

wer sich diese unerträgliche abkürzung ausgedacht hat, gehört lebenslänglich selbst so genannt. mindestens.

auch die bufdis erhalten nur ein taschengeld, von dem sie niemals existieren könnten: die ausbeutung funktioniert aufgrund der tatsache, dass es sich hierbei meist um noch junge menschen handelt, deren eltern ihnen netterweise weiterhin kost und logis spendieren. auf diese weise subventionieren steuerzahlende eltern die gemeinnützigen einrichtungen.

will sagen: dass der gebrechliche 'herr von und zu kunde' für 5,90 euro sein heißes mittagessen kriegt inklusive bringdienst und servieren und fleisch kleinschneiden - das hat er nicht nur der jungen frau bufdi zu verdanken, die ihre freizeit opfert, sondern auch den spendablen eltern der jungen frau bufdi, die ihr mit kost und logis und kleidung ein leben im hotel mama finanzieren – anstatt von ihr zu erwarten, dass sie eigenes geld verdient.

also, wie gesagt, ich habe es gut. besser siebeneinhalb euro die stunde als nix. im auftrag des herrn.


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Dienstag, 23. August 2011

kurze maßnahme no. XXV

my very first schallplatte ....
.... war diese:

[Wum (Loriot) - Ich wünsch' mir ne kleine Mietzekatze]

damals war ich zehn. der krächzende hund sprach mir aus der seele.
leider haben die eltern weder ihn noch mich ernst genommen.

eine katze durfte ich nie nicht. haustiere waren verboten.
ich musste mich mit wum und wendelin begnügen. naja.
besser als nichts. immerhin konnte ich drüber lachen.
loriot hat also meine kindheit gerettet.
so was fällt mir oft erst ein, wenn es zu spät ist, um persönlich danke zu sagen.
danke loriot

die platte habe ich nicht mehr.
aber eine wunderbare mietzekatze.


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Sonntag, 21. August 2011

hochbegabt – ganz normal?

eine buchbesprechung

als ich vor knapp fünf jahren endlich den offiziellen iq-test bei mensa in deutschland machte, war ich ziemlich aufgeregt. es dauerte gefühlte monate, bis das ergebnis eintraf: die von mir erzielte sehr hohe hausnummer bestätigte meine heimliche vermutung aus schulmädchenzeiten und überraschte mich nicht wirklich.


das ergebnis schwarz auf weiß zu sehen, von einem psychologen unterschrieben, beruhigte mich ein bißchen. hatte ich meine intelligenz zumindest nicht versoffen in all den jahren.

die beigefügte einladung, dem verein der superschlauen doch bitte beizutreten, schmeichelte mir. ich folgte ihr nicht, weil a) das geld für den jahresbeitrag für hartz-IV-empfängerInnen im regelbedarf nicht vorgesehen ist und b) ich wenig sinn darin sehe, einem verein beizutreten, dessen aufnahmekriterium einzig ein IQ jenseits der 130 ist.

für meinen IQ kann ich nix. ich bilde mir nichts drauf ein. das ist kein 'besser oder schlechter', allenfalls ein wertfreies 'anders': angeboren wie meine grünen augen. ich kann weder das eine noch das andere ändern. höchstens kaschieren. es ist wie es ist. ich gehe damit um.

der brief mit dem ergebnis verschwand in einem ordner. ich hatte immer noch keine ahnung, was es mit der diagnose „hochbegabung“ tatsächlich auf sich hat – mal abgesehen von der tatsache, dass man dann vielleicht schneller rechnen kann.

erst durch mein blog und speziell eine meiner leserinnen entdeckte ich vor rund zwei jahren das thema für mich neu. ich las „Jenseits der Norm – hochbegabt und hochsensibel“ von Andrea Brackmann. das buch war eine offenbarung für mich. eine buchbesprechung habe ich damals im begabungsblog von Nathalie Bromberger veröffentlicht.

der klett-cotta verlag mochte meinen beitrag und war so nett, mir auch das zweite buch von Andrea Brackmann zuzusenden: „Ganz normal hochbegabt – Leben als hochbegabter Erwachsener“. so rasch nach dem ersten gelesen stand da für mich nicht viel neues drin. durch meine anstrengende situation als hochschulsekretärin war ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt. für die einzelnen schicksale anderer „betroffener“ hatte ich damals weder kopf noch nerven.

als ich mich neulich dabei ertappte, dass ich im zusammenhang mit einer anderen diagnose an die hiesige universitätsklinik schrieb „im übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass ich an einer hochbegabung 'leide'“ - habe ich mich an Brackmanns buch wieder erinnert und zog es von ziemlich tief unten aus dem bücherstapel auf meinem nachttisch hervor.

erstens darf es doch nun wirklich nicht sein, dass ich an meiner brillanz leide. zweitens tue ich auch Frau Brackmann damit unrecht und all den autorInnen in ihrem buch, die so offen von den freuden und qualen ihrer eigenen intelligenz berichten.

manchmal brauche ich einfach gleichgesinnte mit ähnlichen erfahrungen, um mich selbst wieder ins lot zu rücken. das ist wie mit der selbsthilfegruppe für trockene alkoholikerInnen. es hilft.

es hilft, darüber zu lesen, dass auch andere 'superhirne' nicht zwangsläufig erfolgreiche überflieger sind. damit hadere ich ja sehr: dass mein potential so brachliegt, weder gefordert noch gefördert (und vor allem: nicht angemessen honoriert) wird. dass ich andererseits ganz oft die schnauze voll habe davon, ständig 'denken' zu müssen und niemals abschalten zu können. bisweilen würde ich am liebsten auf einem niveau von, sagen wir: IQ 78 dahindümpeln. ruhe haben im kopf. nicht ständig alles hinterfragen und auch noch dem letzten i-tüpfelchen auf den grund gehen müssen; statt dessen die welt und das leben nehmen wie es kommt. zwar leicht debil sein, aber zufrieden.

die mit einem hohen IQ einhergehende hohe empfindsamkeit, von der ich niemals pause habe, erklärt auch – zum teil – meinen hohen alkoholkonsum über jahrzehnte hinweg: wenn es mir zu viel wurde, habe ich meine sinne mit alkohol betäubt, die immer grellen wahrnehmungen gedämpft und weichgespült. das erklärt auch, warum es mir jetzt, auch nach jahren ohne droge – in dieser hinsicht schlechter geht als vorher: meine wache belastbarkeit beträgt nur einen bruchteil von der im betäubten zustand. ich 'funktioniere' nicht mehr so 'gut' wie früher; musste lernen und lerne immer noch, meine eigenen grenzen überhaupt erst wahrzunehmen, sehr viel enger zu stecken als ich es mir für mich selbst wünschen würde – und mich damit abzufinden, dass ich meinen eigenen hohen ansprüchen niemals mehr werde gerecht werden können.

Andrea Brackmanns buch hilft mir also sehr, noch einmal aus verschiedenen blickwinkeln beleuchtet zu erfahren, dass hochbegabte z.b. nicht nur 'schneller denken' können, sondern auch ein vielfaches an informationen aufnehmen und dieses viele obendrein auch noch heftiger empfinden: dadurch mehr verarbeiten müssen und in manchen bereichen leichter überfordert und auch oft langsamer sind als 'normal begabte'.

außerdem wäre frau Brackmann nicht sie selbst, wenn sie das runde dutzend sehr berührender lebensgeschichten von hochbegabten erwachsenen einfach nur kommentarlos aneinandergereiht hätte.

während hochbegabte kinder immer häufiger frühzeitig als solche erkannt werden und eine angemessene förderung erhalten, geht man bei erwachsenen scheinbar immer noch davon aus, dass es sich 'irgendwann auswächst'. das tut es jedoch nicht. es bleibt uns erhalten!

ebenfalls im buch zu finden sind daher hinweise zum aktuellen stand der forschung, tipps und anlaufstellen; dazu eine übersicht samt kritischer bemerkungen zu den gängigen IQ-tests und – für mich mit das wichtigste: eine sehr einfühlsame zusammenstellung der wichtigsten merkmale von hochbegabung mit den allerschönsten verhaltensempfehlungen, damit umzugehen, ohne ständig sich selbst zu zerfleischen.

meine lieblingsstelle kommt fast am schluss: die liste der sogenannten 'häßlichen wörter'. dabei handelt es sich um eine beliebig erweiterbare aufzählung von meist 'sozialen' situationen, die für menschen mit hochbegabung oft nur schwer auszuhalten sind. ich zitiere: „Betriebsausflug, Großputz, Stuhlkreis, geselliges Beisammensein, Supermarktmusik, Schützenfest, runde Geburtstage, Höflichkeitsfloskel, Schwimmbad, Großraumbüro ....“

ich empfinde es als sehr wohltuend, mich zu solcherlei nicht mehr zwingen zu müssen, nur weil alle anderen das normal finden; statt dessen nun endlich sagen zu dürfen „nein danke, das ist nichts für mich“ und mich an derlei aktivitäten nur noch zu beteiligen, wenn es überhaupt gar nicht anders geht. oder früher zu gehen, wenn es mir zu viel wird und für danach ausreichend pause zum kräftesammeln einzuplanen.

ebenfalls wohltuend die erkenntnis, dass solcherlei 'hochbegabte empfindlichkeiten' weder durch therapie noch durch mehr selbstdisziplin kurierbar sind. ich bin und bleibe eine empfindliche zicke. das erleben der eigenen hochbegabung und der umgang damit sind täglich neue herausforderungen, vermutlich bis an mein lebensende und ohne pause.

diese aussicht ist nicht gerade beruhigend. aber mit meinem kreativen hochleistungsgehirn dürfte auch das zu schaffen sein.


Andrea Brackmann
Ganz normal hochbegabt
Leben als hochbegabter Erwachsener
Klett-Cotta Leben!
ISBN 978-3608860061
derzeit 14,95 €

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Mittwoch, 10. August 2011

nachtwanderungen II


besondere maßnahme no. XXIV

montag früh, stockfinstere nacht. ich werde jäh aus dem schlaf gerissen: das telefon klingelt. genau drei uhr.

Anonymer Anruf auf Siemens Gigaset C385
schlaftrunken rasen mir die schlimmsten gedanken durch den kopf: jemand gestorben?!! eine katastrophe?! was sonst?!!

bevor ich mich aus den decken geschält habe, aufgestanden und nachtblind bis zum telefon gelangt bin, hört das klingeln auf. die anrufbeantworterin übernimmt.

keine nachricht. man hat wieder aufgelegt. im display wird mir eine unbekannte mobilnummer angezeigt.

ich brummele ungehalten, was das soll, mich mitten in der nacht zu wecken. war wohl wer falsch verbunden und hatte angst, das zuzugeben. blödmann.

trotzdem bin ich beunruhigt. herzrasen. war es doch etwas anderes?

aus der küche hole ich mir ein glas wasser, leere es in einem zug. das beruhigt. ich gieße mir ein zweites ein und stelle es neben das bett.

noch bevor ich wieder unter der decke liege, klingelt das telefon erneut. es ist drei uhr und vier minuten. im display die gleiche, mir unbekannte mobilnummer. ich stehe neben dem telefon. starre aufs display. ich gehe nicht ran. die anrufbeantworterin übernimmt.

herzrasen. ich warte ab, bis die nachrichtentaste leuchtet. diesmal hat derjenige nicht gleich wieder aufgelegt, sondern eine nachricht hinterlassen: „hallo du geile schlampe. du geile schlampe!“

mehr nicht. diese sieben wörter reichen aus, mich den rest der nacht nicht mehr schlafen zu lassen.

ich fühle mich schmutzig. besudelt. beängstigt. eine zähneknirschende wut kocht in mir hoch. was bildet der sich ein?! woher kennt der mich?! kennt der mich überhaupt?! immer dasselbe: scheiß männer.

früher hätte ich in solchen situationen ein bier getrunken. für die nerven, natürlich. wegen der vitamine. rein aus medizinischen gründen. bier beruhigt. hopfen macht schläfrig. oder einen schnaps. oder sieben. auf den schreck. aber alkohol fällt aus. ich habe viel zu viel geschluckt in meinen jungen jahren.

so viel wasser, wie ich bräuchte, um mich wieder runterzupegeln, kann ich gar nicht trinken. das alta trauma ist sofort wieder da. der geschmack von sperma im mund. auch davon viel zu viel geschluckt in jungen jahren.

ich bin wütend. kriege schlimmste rachegelüste, verprügele die matratze. gegen meine folterfantasien sind die horrorgeschichten von stephen king der reinste kindergartenkram. eigentlich ein wunder, dass ich noch niemanden in echt umgebracht habe.

die katze, die bis zum ersten telefonklingeln noch schnurrend in meinem arm lag, verzieht sich irritiert – so weit wie möglich weg von mir.

irgendwann schlafe ich doch wieder ein, wache in der früh auf. die katze ist wieder da.

noch im bademantel, mit dem ersten milchkaffee in der hand, sitze ich vor dem rechner und suche die nummer vom frauennotruf.

möchte wissen, was ich jetzt tun soll. schließlich habe ich seine nummer. die frau vom notruf nimmt mich ernst. kein blöder spruch von wegen „was, mehr hat er nicht gesagt?! kindchen das erleben wir doch alle täglich ....“

sie bietet mir an, sich bei der kripo in der stadt für mich zu erkundigen. weil es selten ist, dass der straftäter die handynummer gleich mitliefert.

kurz darauf ruft sie zurück, ich soll unbedingt anzeige erstatten. nicht in der stadt, sondern bei meiner zuständigen dorfpolizei. ich druckse herum. sie bietet mir an, auch dort anzurufen und nachzufragen, ob es eine beamtin gibt, mit der ich sprechen kann. ich bin dankbar.

ganz bald schon klingelt wieder das telefon: die beamtin der örtlichen polizeistation. ich erzähle alles noch einmal. wir vereinbaren einen termin. damit sie zeit hat und wir eine weile ungestört sind, wenn ich meine aussage mache und anzeige erstatte. sie wird in der zwischenzeit herausfinden, auf wen das handy angemeldet ist.

früher habe ich auf solche terroranrufe einfach nicht reagiert. ich habe die sexualisierte gewalt geschluckt. darüber hinweggesehen. männer sind halt so. mir ist ja nichts passiert. es waren nur worte und eine schlaflose nacht. oder sieben.

die zeiten haben sich geändert. die männer nicht. heute weiß die polizei, dass von worten gewalt ausgeht. dass das eine straftat ist, was mir da nachts passierte. das macht es nicht ungeschehen, aber es beruhigt. ein wenig, zumindest.

ich fühle mich nicht mehr nur hilflos ausgeliefert und wünschte, das wäre in meiner kinder- und jugendzeit auch schon so gewesen, dass man mich ernst genommen und sexuelle gewalt nicht zum kavaliersdelikt erklärt hätte. es hätte vieles freundlicher sein können in meinem leben.

ändern oder ungeschehen machen kann aber auch keine polizei, und sei sie noch so verständnisvoll. wann immer das telefon klingelt, schlägt mir das herz bis zum hals und ich bin froh, dass es das display gibt. unbekannte nummer? gehe ich sowieso nicht ran. nicht erst seit vorgestern.

als ich - mit handydisplay und tonbandaufnahme im gepäck - anzeige erstatte, muss ich begründen, warum ich mit vollem vor- und nachnamen und anschrift im telefonbuch stehe. unterschwellig, ganz leise, der unausgesprochene vorwurf: „da sind sie doch selber schuld ….“

frau allein auf der straße? selbst schuld.
sogar noch einen rock angehabt? die reinste herausforderung!
frau als frau erkennbar im telefonbuch? selbst schuld.
und dann auch noch mit adresse? da brauchen Sie sich nicht zu wundern!

es kotzt mich an!
ich bin nicht schuld, wenn männer ihre grenzen nicht kennen.
keine frau ist schuld, wenn ein kerl seine macht missbraucht.

damit mir nichts passieren kann, soll ich mich unsichtbar machen.
auf der straße. im telefonbuch. wo noch?!
ich weigere mich. ich will gesehen werden. will wahrgenommen und respektiert werden!

der zweite vorschlag:
eine trillerpfeife nebens telefon legen. für den fall, dass er noch mal …. tatsächlich raten in diesem fall sowohl der frauennotruf als auch die polizei zur selbstjustiz.

das halte ich für kein gute methode – selbst wenn er danach zwei tage lang nix hört. aber 'man' könnte mich wegen körperverletzung anzeigen. um dieses risiko einzugehen, ist so ein trillerschaden einfach nicht groß genug. obendrein würde ich mich mit der lauten triller auch noch selbst verletzen. meine armen tinnitusgeplagten ohren.

die anzeige ist jetzt unterwegs an die staatsanwaltschaft. und wird irgendwann ergebnislos eingestellt. das handy ist nicht registriert: eine von abermillionen anonymen prepaidnummern.

ich frage mich:
wozu braucht der staat die speicherung der verbindungsdaten, wenn er sie dann später doch nicht zuordnen kann?

ich frage mich außerdem:
warum werde ich gezwungen, auf meiner homepage all meine koordinaten offen darzulegen – wenn mir gleichzeitig zum selbstschutz geraten wird, mich aus dem telefonbuch doch lieber entfernen zu lassen?

drittens frage ich mich:
wie soll durch die aktuelle politische forderung, im internet nirgends mehr anonym auftreten zu dürfen – so wie ich hier in meinem weblog – auch nur eine einzige straftat verhindert werden? ich befürchte das gegenteil.

sagte eine freundin neulich: "egal in welcher gesellschaft du lebst auf diesem planeten: als frau hast du immer die arschkarte."

ich hätte ihr gern widersprochen.


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Mittwoch, 27. Juli 2011

sparsam II

besondere maßnahme no. XXIII

ich schäme mich. ich schäme mich so sehr, dass ich diesen text bereits seit zwei wochen vor mir herschiebe. dabei ist er mit verdammt wichtig!


schon schlimm genug, dass eine nicht arbeiten darf bzw. für ihre arbeit nicht angemessen honoriert wird, ihren lebensunterhalt nicht mehr selbständig bestreiten kann, sich irgendwann in hartzIV wiederfindet und von der politischen und medialen öffentlichkeit als sozialschmarotzerin aus der bildungsfernsten schicht bezeichnet wird.

da ich ohnehin nur noch bodensatz der gesellschaft bin, kann ruhig noch einer drauftreten:

nun bin ich auch noch kreditunwürdig!

meine anleihen haben nicht einmal mehr schrottstatus, sind allerunterster ramsch! meine sparbank will mit mir keine geschäfte mehr machen.

das kündigte sich ja bereits anfang des jahres an, als die erbsenzählerische dorfsparbankfilialleiterin mir am telefon einen moralischen vortrag hielt über sinn und zweck von dispokrediten.

vergangene woche gab es die fortsetzung, als an einem sonnigen nachmitag zur besten mittagspausenzeit um halb drei mein telefon klingelte.

es begrüßte mich überschwenglichst oberfreundlich die mir persönlich bekannte und bislang nicht unsympathische schalterangestellte meiner dorfbankfiliale: sie wollte mir gratulieren.

erst war ich etwas verdutzt: gratulieren?! ich konnte mich nicht erinnern, an einem preisausschreiben teilgenommen zu haben.

sie gratulierte mir aber nicht zu irgendeinem hauptgewinn, sondern dazu, dass ich innerhalb eines halben jahres meinen dispokredit bzw. dessen inanspruchnahme um mehr als die hälfte gesenkt hatte. „ich bin richtig stolz auf Sie - und Sie können das auch sein, das ist in der heutigen zeit eine starke leistung!“

so sprach sie von oben herab, als ob ich ein schulmädchen sei, das am weltspartag mit einem vollen sparschwein und stolzem breitwandgrinsen vor ihrem schalter steht.

wie demütigend! ich kenne meine finanzen! ich bin zwar oft am limit, aber dafür zahle ich gebühren - und zwar nicht zu knapp! es ist ja nicht so, dass die sparbank mir irgendwelche almosen gäbe, ganz im gegenteil. meine zinsen zahlen der frau schalterangestellten nicht nur das gehalt, sondern auch ihr schickes geheiztes büro samt altersvorsorge.

sogleich änderte sie den ton und druckste herum: „Sie kriegen ja arbeitslosengeld zwei ....“ richtig. und zwar regelmäßig jeden monat in angemessener höhe. ich bejahte also diese seltsame banker-rhetorik. jeder anderen mit einem ähnlichen einkommen würde sie einen dreifach dimensionierten disporahmen anbiedern.

madame sparbank druckste weiter. ob wir denn jetzt das dispolimit mal allmählich senken könnten?

ich verneinte. wozu? schließlich ist es ihr business, anderen leuten geld zu leihen. an mir verdient sie nicht schlecht: ihre zinsen sind nicht von pappe und haben sich gewaschen. außerdem sieht sie doch, dass ich in der lage bin, meine schulden auch zügig wieder abzuzahlen. dazu hatte sie mir ja eben erst gratuliert!

trotzdem wollte sie mit der sprache nicht so recht heraus. also sagte ich ihr klar aber freundlich meine meinung und dass ich mit meinem dispo in der bisherigen höhe sehr zufrieden sei.

dass ich seit fast zehn jahren ihre kundin bin mit ebendiesem dispo, beeindruckte sie nicht: „damals waren wohl die regeln noch nicht so streng.“ welche regeln, wollte sie mir nicht sagen. ich nehme an, dass der unterschied darin liegt, dass man ein beliebiges einkommen pfänden kann, arbeitslosengeld2 aber nicht.

ich erzählte ihr von dem neujahrstelefonat mit ihrer vorgesetzten, dass das ja wohl alles andere als professionell gelaufen war. nebenbei: ich fand das überhaupt nicht gut, dass auch sie mich nun am telefon überfiel, um so heikle dinge wie meinen dispokredit zu besprechen.

frau sparbank: „ja, ich sehe Sie ja gar nicht mehr in der filiale!“ - wozu? ich habe ein onlinekonto, da brauche ich den schalter nicht. „außerdem, so am telefon, da hört doch wenigstens keiner mit. oder wäre es Ihnen lieber, wir besprechen das am schalter, wo alle zuhören können?“

wie bitte?! gibt es kein bankgeheimnis?! habt ihr keinen besprechungsraum?! könnt ihr keinen termin vereinbaren?! ich war nicht mehr nur genervt, sondern wurde allmählich grantig.

ich erzählte ihr weiter, dass ich nach der für mich sehr negativen erfahrung mit der filialleiterin anfang des jahres beschlossen hatte, meinen dispo abzuzahlen und dann zu einer anderen bank zu wechseln. das beeindruckte sie nicht:

„ja so ist das nun aber nicht gemeint, dass wir sie als kundin nicht mehr wollen.“ - aha. und?! „aber den dispo müsste „man“ jetzt trotzdem mal allmahlich senken.“ sie versuchte also weiter, mir eine streichung meines dispos unterzujubeln – aber ich wollte nicht. nicht freiwillig.

frau sparbank redete immer noch keinen klartext. also fragte ich sie auf den kopf zu:

„habe ich das richtig herausgehört, dass sie anweisung haben von ihren vorgesetzten, mir den dispo zu kappen und dass sie hier telefonisch mit mir ein erfolgserlebnis brauchen, weil sie sonst selbst großen ärger kriegen?!“

es kam zwar kein klares ja, aber sie druckste weiter und widersprach mir nicht. ich war inzwischen nicht nur sehr gedemütigt, sondern auch sehr wütend – denn ich kann schleimige halbwahrheiten nicht ausstehen:

da hatte also die fiese dorfsparbankfilialleiterin ihre nette angestellte vorgeschickt mit dem auftrag, mir druck zu machen. ich tat ihr den gefallen nicht, damit freudig und demütig dankend einverstanden zu sein. ich weiß, dass sie weiß, dass eine sofortige kündigung meines dispos zwecklos ist, weil sie mein alg2 nicht pfänden darf.

aber ich ließ mich schließlich darauf ein. wir vereinbarten eine senkung des disporahmens um dreißig prozent. ihr zuliebe. damit sie nicht meinetwegen ärger kriegt. das sagte ich ihr genau so.

um mal tacheles zu reden: es geht um 1400 euro disporahmen. derzeit stehe ich da noch mit 600 in den miesen. also echte peanuts! aber für mich sind die wichtig. wer wenig geld hat, kommt schneller mal in die bredouille, wenn es überschneidungen gibt.

nun gut. es ist wie es ist. ich werde dieser 'besonderen behandlung' nicht nur mit einer, sondern gleich mit zwei besonderen maßnahmen begegnen:

nach einer anderen bank habe ich mich schon umgesehen: ich mache mit bei der aktion krötenwanderung von attac. das wurde sowieso höchste zeit.

da werde ich zwar zunächst keinen dispo kriegen, den muss ich erst auslösen. aber egal. dafür darf dann eine ethisch-grüne bank mit meinen kleinen pfunden wuchern.

gleichzeitig habe ich mich beteiligt am aktuellen aufruf der stiftung warentest: der Bundesverband der Verbraucherzentralen sucht menschen für eine musterklage gegen überhöhte dispozinsen. meine sparbank steht da auf der liste. und ich bin der meinung, dass ich in den letzten jahren eindeutig zu viele zinsen bezahlt habe. die verbraucherzentrale sieht das genau so.


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