Achtung. Achtung. Achtung.
Wir sind umgezogen!

Januar 2021

Das Büro für besondere Maßnahmen ist ab sofort erreichbar auf mojour.de

Nach und nach werden alte Beiträge – ggf. aktualisiert und überarbeitet – dorthin umziehen. Bitte folgen ... :-)

Montag, 23. Dezember 2013

Schneerosen

Die Rosenworte zum Montag ...

... widme ich heute all denen, die - wie ich - in der rosenlosen Zeit des Jahres auf die Welt kamen und als erstes im Leben nicht das Licht, sondern die Dunkelheit der Welt erblickten.

Schneerose (Helleborus niger)

Wie Schneerosen, die von Anfang an der Kälte dieser Welt trotzen. Wir selbst sind das Leuchten in der Dunkelheit des Winters, im Sommer 'Immergrün'.

Schneerosen halten aus und durch. Auch wenn die Knaben daher kommen, das Röslein zu "brechen". Wir treiben einfach neue Blüten.

Helen Schneider, die heute Geburtstag hat, sang das Röslein 1978 bei Alfred Biolek:



Seid gut zu Euch!

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Mittwoch, 18. Dezember 2013

Jahreszitat 2014 – die Gewinnerin!

Vor ein paar Tagen habe ich mein Thema für das kommende Jahr bereits vorgestellt:

"Some of the most wonderful people 
are the ones who don't fit into boxes."*

Dieses Zitat von Tori Amos soll 2014 der Leitgedanke im Büro für besondere Maßnahmen sein. Und wie immer, habe ich mir auch in diesem Jahr etwas dabei gedacht:

Es ist ein menschliches Bedürfnis, Dinge zu betrachten, einzuordnen und abzulegen. In Schränken, Schachteln, Schubladen, Kisten, Boxen. Das kann das Leben erleichtern, es kann bisweilen lebensnotwendig sein – unser Gehirn macht es sogar automatisch, ohne dass wir uns explizit entscheiden müssen. Auch ich bin dagegen nicht gefeit.

Passt in keine Schublade: das BfbM

Trotzdem: Ich möchte es mir nicht zu einfach machen. Schubladendenken ist nicht nur bequem, es kann auch sehr respektlos sein. Es macht schon Arbeit, jederzeit – mit allen Sinnen – allen Dingen gegenüber, vor allem aber mit allen Menschen acht- und aufmerksam zu sein und genau hinzuschauen, ob sie oder er oder es sich in irgendeiner Hinsicht verändert hat.

Es verändert sich ständig etwas. Immer. Auch wenn etwas oder jemand schon längst in einer Schublade steckt, verändert sie oder er oder es sich trotzdem. Ständig. Things change. Das liegt in ihrer Natur. Die einen schneller, anderes langsamer. Manches nur um Nuancen, anderes revolutionär (Das Wort revolutionär benutze ich hier im originären Sinne von „umwälzen, sich drehen, erneuern, auf den Kopf stellen“).

*Einige der wunderbarsten Menschen sind diejenigen, 
die nicht in Schubladen passen.

Mein Leben lang wurde ich von ignoranten Mitmenschen, denen ihre persönliche Bequemlichkeit über ein respektvolles Miteinander geht, in unpassende Schubladen gesteckt. Ich habe sehr viel Energie und Mühen darauf verwendet, aus den Schubladen wieder herauszukommen. Weil deren Schubladen nicht meine waren, weil ich mich darin nicht wohl fühlte, weil ich an allen Seiten überquoll und weil es höllisch wehtat und mich verletzte, wenn die Schublade geschlossen werden sollte: Ich musste mich sehr verengen und ganze Teile von mir abschneiden, um auch nur ansatzweise darin Platz zu finden. Ich hatte Angst, dass die einengenden Schubladen auf mich abfärben könnten. Und ich hatte Angst, darin zu ersticken.

Mein Leben lang bin ich aber auch immer wieder ganz wunderbaren Menschen begegnet, denen es ebenso erging und ergeht wie mir. Das sind Begegnungen, von denen ich mich so sehr beschenkt fühle, dass nicht mal eine Schublade voll Diamanten für jede einzelne miteinander verlebte Sekunde das jemals aufwiegen könnte.

Mein Jahreszitat für 2014 ist ein großes Dankeschön an all die wunderbaren schubladenlosen, schubladenfreien und schubladenbefreiten Menschen, die zu meinem Leben gehören, meine Wege begleiten, mein Herz beschenken und meinen Alltag bereichern.

Ich liebe Euch!

Wir sind die „Nicht-in-Schubladen-Passenden“ - zumindest nicht in die konventionell vorgesehenen oder erlaubten. Wenn wir uns dennoch mal in eine stecken (lassen), dann nicht für lange Zeit. Wir hüpfen mal in diese, schlüpfen mal in jene Lade, hopsen gleich wieder heraus oder bleiben mal ein bißchen länger drin liegen, um uns auszuruhen – aber nur ungern zweimal in dieselbe. Immer weiter, ladenlos!

Egal was wir tun – es ist immer unsere freie Entscheidung. Im allgemeinen kommen wir aufs Prächtigste ohne Schubladen oder Etiketten aus.

Das ist gut so und das soll auch so bleiben.

Den kleinen Wettbewerb der vergangenen Woche hat Regenfrau gewonnen. Mit ihrem hinreißenden Argument, dass schlecht auf Bäume klettern kann, wer eine Schublade in der Hand hält, zaubert sie mir ein beständiges Lächeln auf die Lippen.

So isses.

Liebe Regenfrau, das exklusive Schreibgerät aus dem Büro für besondere Maßnahmen ist auf dem Weg zu dir!

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Dienstag, 17. Dezember 2013

#dailyvanish: Wendetoaster und Uhrenradio

Ganz selten einmal beteilige ich mich an sogenannten „Blogparaden“. Genau genommen erst einmal. Das waren im März meine „sweet thoughts“ -  ­ bei Sabienes Blogparade „Mahlzeit – zuckersüß“.

Bei einer Blogparade denkt sich ein/E BloggerIn ein Thema aus, macht's bekannt und hofft darauf, dass sich möglichst viele andere AutorInnen gleichzeitig aus verschiedenen Perspektiven mit dem selben Thema beschäftigen. Das kann dann zu ganz wunderbaren Synergie-Effekten und den schönsten Überraschungen führen.

Ich bin ja nun nicht so das Herdentier, aber die Blogparade #Dailyvanish – Dinge, die aus unserem Alltag verschwinden auf dem Blog 'Museum & Social Web' des Museumshelden Sebastian Hartmann schwirrt mir schon seit Wochen im Kopf herum.

Es schwirren nicht nur die Gedanken dazu in meinem Kopf, sondern auch ein paar der gemeinten Dinge bei mir im Haus herum: Solche altmodischen, etwas umständlich (gewordenen) Gegenstände eben, die aus anderer Leuts' Alltagen längst verschwunden sind …

Früher waren sie vielleicht mal „le dernier cri“, die „must haves“ meiner Jugend oder auch technisches Handwerkszeug aus den Anfängen meiner Zeit als Rundfunkredakteurin – inzwischen wurde vieles davon ersetzt durch Schnelleres, Kleineres, Größeres, Pflegeleichteres, Lauteres, Effektiveres usw. – aber eben nicht alles.

Da wäre zum einen mein unkaputtbarer Wendetoaster aus Edelstahl – von Rowenta, Modell E5214 -, der seit mehr als 53 Jahren seinen Dienst tut.

Wendetoaster Rowenta E5214, Edelstahl

Kurz Luft holen: Der ist älter als ich! Wahrscheinlich kriegte der heutzutage kein TÜV-Siegel mehr, denn er ist höllisch brandgefährlich! Hier habe ich ihn bereits angemessen gewürdigt. Der Text ist unverändert aktuell.

Dann wäre da noch das kleine Uhrenradio mit Cassettenlaufwerk von Sony. In Türkispetrolblau, typisch frühe 90er-Jahre, Modell CFT-1. Das Gerät war auch erhältlich in einem dunklen Orange schon damals im „Retro-Look“ – todschick! Nicht „My First Sony“. Das war natürlich ein Walkmann 1981! Aber vielleicht mein drittes oder viertes Gerät. Der geniale Werbespruch dazu war damals „It's not a trick, it's a Sony“.

Sony Radio Cassette Player CFT-1

Echt ein tolles Ding! Ein Foto der Vorderseite findet ihr hier. Es funktioniert wahlweise mit Strom oder mit Batterie bzw. Akku, kann die Zeit anzeigen und weckt – auf Wunsch mit freundlichem Piepston oder mit Radio oder Wunschmusik von MC (der damals noch üblichen MusiCasstte oder CompactCassette).

Außerdem hatte es eine ausziehbare Teleskop-Antenne für besseren Radioempfang. Yeah. Das war damals krass cool. Kabelempfang oder Internetradio hatten wir nämlich noch nicht. Ich war Anfang 30. Der blaue Sony funktioniert bis heute und steht inzwischen in meinem Badezimmer. Ich freue mich jeden Morgen darüber. Weil es so schön ist.

Als drittes Beispiel für die bei mir noch lebendigen #dailyvanish möchte ich meine Kaffeefilter nennen.

Melitta Kaffeefilter 102, Porzellan

Von Melitta natürlich – die Klassiker. In verschiedenen Größen, mit dazu passendem Filterpapier. Je nachdem, ob ich den Kaffee alleine trinke oder ob Besuch kommt. Ich benutze sie zwar nur selten, weil mir Filterkaffee nicht schmeckt und ich meinen täglichen Milchkaffee immer und nur mit der italienischen Caffetiera zubereite. Aber hin und wieder kommt einer der beiden Filter dann doch noch zum Einsatz. Wenn's mal schneller gehen muss. Oder wenn mir mal nostalgisch zumute ist.

Manchmal, wenn alte Dinge kaputt gehen, repariere ich sie. Ich hänge dran, irgendwie. Kann ich sie nicht reparieren oder reparieren lassen, dann übergebe ich sie der Müllverwertung. In einem kleinen Ritual, mit dem ich mich bei dem Gegenstand für langjähriges Funktionieren, für treue Lebensbegleitung und -erleichterung bedanke.

Zu dem Ritual gehört inzwischen auch, dass ich ein Abschiedsfoto von jedem Gegenstand mache, der mich verlässt. Damit ich auch später mal noch weiß, was und wer einst zu meinem Alltag gehörte. Das erleichtert mir das Loslassen sehr.

Den Dateiordner, in dem ich diese Bilder aufbewahre, werde ich nun umbenennen. In „dailyvanish“ - für all die Dinge, die aus meinem Alltag verschwunden sind. Danke sehr, lieber Sebastian Hartmann, für dieses schöne Wort.

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Montag, 16. Dezember 2013

Jane Austen

- Rosenworte zum Montag - 

Der 16. Dezember ist der Geburtstag der englischen Schriftstellerin Jane Austen (*1775 - 1817). 

Die historische Gallica Rose
"Jenny Duval" (18./19. Jhdt.)



Ihre Werke - wie z. B. "Emma", "Stolz und Vorteil", "Sinn und Sinnlichkeit"- gehören zu den Klassikern der Weltliteratur, werden bis heute gelesen und wurden erfolgreich verfilmt.

Jane Austen war gesellschaftskritisch und - ihrer Zeit weit voraus - feministisch ("Unverheiratete Frauen haben eine schreckliche Neigung dazu, arm zu sein"). Ihre Gedanken haben bis heute nichts an Aktualität verloren. Ab 2017 - dem Jahr ihres 200. Geburtstags - soll ihr Portrait auf der englischen 10-Pfund-Note erscheinen.

Sie liebte aber auch die Rosen, hegte sie in Ihrem Garten - und widmete Ihnen verschiedene Verse, die sich allesamt auf das Wort "Rose" reimen (ein genüßlicher Nonsens, nachzulesen bei Pemberley).

Auch die heutigen Rosenworte kurz vor Weihnachten stammen aus Jane Austens Feder:

"Rücksicht auf die Verwandten ist die Wurzel
allen weihnachtlichen Unglücks."

Habt glückliche Vorweihnachts- und Weihnachtstage!
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Donnerstag, 12. Dezember 2013

Most wonderful people

Keine drei Wochen mehr, und Zwanzigdreizehn ist vollbracht.

Zwischen Barbarazweigen und Santa Lucia habe ich ein bißchen Zeit, um über mein Thema für das kommende Jahr nachzudenken.

Schon wieder ein Neues, obwohl ich das diesjährige noch gar nicht erfüllt habe? Ich bin das ganze Jahr über noch auf keinen einzigen Baum geklettert!

Die bisher einzige Unternehmug in 2013, die auch nur ansatzweise in diese Richtung ging, war, dass ich mich in ein exclusives All-Inclusive-Luxushotel, in dem ich nicht Gast war, eingeschlichen habe, um zwei Eis am Stiel vom Buffet abzuziehen – eines für mich und eines für meine Begleitung.

Das war mit Abstand das leckerste Magnum des Jahres!

Damit ich mir nicht selbst die Möglichkeit nehme, auf Bäume zu klettern so oft ich will, habe ich beschlossen, dass das Jahreszitat 2014 eine Art Verlängerung von 2013 wird – ich kann halt auch so schwer aus meiner Haut ….

Es wird erweitert um die wunderbare Erfahrung, dass es mir selbst an ganz unerwarteten Orten meist gelingt, ganz wunderbaren frechen Frauen und anderen Menschen zu begegnen. Solche, mit denen ich dann auf Bäume klettern möchte oder für die ich ein Langnese Eiskrem stibitze:

Some of the most wonderful people 
are the ones who don't fit into boxes.*

Das Zitat wird Tori Amos zugeschrieben. Ich habe lange gesucht, aber nicht herausfinden können, an welcher Stelle sie es erstmals sagt oder singt oder schreibt. Vielleicht kann ja eineR von euch mir auf die Sprünge helfen?


Es gibt auch wieder einmal etwas zu gewinnen: Diesmal einen schicken, wunderbar fließend schreibenden Kugelschreiber mit der Augen-Rosen-Katze und dem Jahreszitat 2014 aus dem Büro für besondere Maßnahmen.

Ihr könnt an der Verlosung teilnehmen, indem ihr unter diesen Beitrag einen Kommentar postet zum Thema „Schublade“. Es ist nicht notwendig, das Rätsel zu lösen (wäre aber toll, wenn das jemandem gelingt)!

Einsendeschluss ist Dienstag, der 17. Dezember um 23:59 Uhr. Bekanntgabe der GewinnerIn erfolgt am nächsten Mittwoch, also am 18. Dezember 2013. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

– und, ja! Dieser Kugelschreiber ist ein exklusives, speziell für diesen Anlass angefertigtes Einzelstück – ein kleines Danke an all meine treuen und sporadischen, zufälligen und absichtlichen LeserInnen!

Viel Glück und viel Spaß!


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Einige der wunderbarsten Menschen sind diejenigen, die nicht in Schubladen passen.



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Dienstag, 10. Dezember 2013

Sprachengewirr

Meine erste – nicht von Erziehungsberechtigten begleitete – Auslandsreise war eine Radtour mit FreundInnen in die benachbarten Niederlande. Damals war ich 15, und ich merkte schnell, wie nützlich und hilfreich es sein kann, die Sprache des jeweiligen Gastlandes zumindest im Grundwortschatz zu kennen.

Theather Restaurant am Amphitheater, Side (TR)

In der Schule hatte ich bis dahin Englisch und Latein kennengelernt, Italienisch und Französisch sollten nach den Sommerferien dazukommen.

Niederländisch hat niemals auf meinem Stundenplan gestanden, ich bin im Rheinland aufgewachsen, verstehe es irgendwie, wenn auch nicht zu 100 Prozent. Dass „irgendwie verstehen“ nicht ausreicht, wurde klar, als wir auf der Radtour plötzlich ganz dringend ein Teesieb benötigten.

In welchem Laden auch immer wir danach fragten, wurde uns immer nur duftige Teeseife angeboten. Es dauerte ziemlich lange, bis wir eine Ladenbesitzerin fanden, die genug Deutsch konnte, um uns neben der theezeep auch ein theezeefje zu zeigen. Wir waren glücklich und um eine fahrradtourüberlebenswichtige Niederländisch-Vokabel reicher.

Im Jahr darauf besuchte ich in den Sommerferien eine Brieffreundin in Südwest-Frankreich. Stolz wollte ich meiner Gastfamilie auf der Landkarte zeigen, auf welcher Route ich gereist war. Prompt vermischte ich die Vokabeln meiner bisher gelernten Sprachen: Verbuchselte das englische “travel” mit dem französischen “voyager” zu “travailler” und hatte plötzlich schon an erstaunlich vielen Bahnhöfen “gearbeitet” – im zarten Alter von 16 Jahren und sehr zur Verwunderung meiner Gasteltern.

Weitere Länder, weitere Sprachen folgten: Ich lernte Türkisch und Thai, Japanisch und Spanisch, ein bisschen Griechisch und ein bisschen Malaiisch. Wo immer ich unterwegs war, wollte ich die Menschen nicht nur verstehen, sondern auch selbst verstanden werden.

“Verstanden-werden-wollen” ist mir ein großes Bedürfnis seit meiner Kindheit. Ich dachte immer, es liegt an mir, wenn meine Eltern nicht wussten, was ich meinte; wenn sie mit mir Dinge taten, die ich nicht wollte. Mein Deutsch war für sie scheinbar nicht deutlich genug. Also erfand ich neue Wörter, quasi aus Notwehr. Das fanden sie sehr erheiternd. Besser verstanden fühlte ich mich nicht.

Die vielen Vokabeln, das Sprachgewirr in meinem Kopf führte immer wieder zu lustigen, seltsamen und befremdlichen Situationen.

Sehr gelacht habe ich mit MariVi in Andalusien. Bei ihr lernte ich Anfang der 90er Jahre Spanisch intensiv in drei Wochen. Als ich ihr in der zweiten Woche eine Geschichte erzählte, sah sie mich nur verständnislos an, schüttelte den Kopf: Ich hatte zwar eine perfekte spanische Grammatik verinnerlicht, mangels gelernter spanischer Vokabeln aber meinen italienischen und japanischen Wortschatz eingesetzt. Unbewusst.

Ich lernte, die verschiedenen Wörter in ihren kultursprachlichen Kisten zu lassen, büffelte mehr Vokabeln. Vor dem Rückflug am Aeropuerto in Malaga kam ich in die ungewöhnliche Situation, als deutsche Touristin spanisch-japanisch zu dolmetschen:

Ein spanisches und ein japanisches Ehepaar konnten zwar genug Englisch, um sich gegenseitig zu besuchen und ein paar freundlich-oberflächliche Tage miteinander zu verbringen. Als jedoch die Japanerin zum Schluss die Spanierin fragte, ob sie ihr zum Dank etwas aus Japan schicken dürfe, ob sie einen Wunsch habe und die Spanierin erfreut antwortete, dass sie einen Kimono ganz toll fände – da drohte der Besuch in einer Krise zu enden.

Ein Kimono ist in Japan ein kostbares Kleidungsstück und kann leicht den Preis eines Kleinwagens übersteigen. Gemeint hatte die Spanierin jedoch einen Yukata – ein leichtes Sommergewand aus Baumwolle, das sie im Haus als Morgenmantel tragen wollte.

Die Japanerin bot ihr also immer wieder einen Yukata an, die Spanierin aber, da sie das Wort nicht kannte, bestand auf einem Kimono. So viel Geld hatte die Japanerin für ein „Dankeschön“ nicht ausgeben wollen, wagte aber aus Höflichkeit nicht, den Wunsch abzulehnen.

Nun, ich hörte mir das etwas hilflose Hin und Her eine Weile an: Ich saß ja direkt daneben und konnte gar nicht anders, als jedes Wort nicht nur zu hören, sondern auch zu verstehen.

Für die Spanier und die Japaner war ich eine hellhäutige, nordeuropäische Touristin, von der man keine internationalen Sprachkenntnisse erwartete und die man nicht weiter beachtete. Schließlich aber sprang ich dann doch ein, löste die Situation auf. Nach einem ersten ungläubigen Erstaunen wurde es noch richtig nett im spanisch-japanisch-deutsch-englischen Dialog.

Das freut mich immer wieder sehr, wenn ich mit meinem sprachlichen Talent nicht nur zur allgemeinen Erheiterung, sondern sogar zur Völkerverständigung beitragen kann.

Mit den Jahren aber habe ich gemerkt, dass es gar nicht immer an den (Fremd-)Sprachkenntnissen liegt, ob ich verstanden werde oder nicht. Ganz oft ist es einfach (m)eine andere, vielleicht feinere Wahrnehmung, sind es diffizile und subtile Gedankengänge, die ich anderen nur schwer vermitteln kann.

Ein Erfahrungsaustausch in welcher Sprache auch immer ist sehr schwierig bis unmöglich, wenn für die Erfahrungen und Wahrnehmungen der anderen keine eigenen Antennen vorhanden sind.

Mittlerweile erlaube ich mir dann, ein Gespräch auch mal oberflächlich dahinplätschern zu lassen, wenn ich gerade die Kraft dazu habe. Oder zu beenden, wenn es mir zu anstrengend wird. Es muss nicht jede meine Geheimnisse wissen.

So habe ich auch irgendwann aufgehört, die Sprache jedes Landes lernen zu wollen, in das ich reise. Inzwischen freue ich mich sogar darüber und kann es unendlich genießen, mitten in einem mir unverständlichen Gebrabbel zu sitzen. Wenn ich die Belanglosigkeiten der anderen nicht verstehen muss, finde ich das sehr erholsam und kann ganz wunderbar meinen eigenen Gedanken nachhängen.

So wie neulich im Auslandsurlaub: Nix ist schlimmer, als sich schon zum Frühstück vom Nachbartisch her plappernde Ruhrpottweisheiten anhören zu müssen oder sparsam-schwäbisches Gemeckere, dass es dieses oder jenes doch woanders besser und obendrein billiger gäbe. Ich will auch deren Geheimnisse gar nicht wissen! Solcherlei belastet mich, und ich halte mich möglichst fern.

Wie erholsam hingegen, in einem Café zwischen plaudernden Einheimischen zu sitzen, nicht mal Bahnhof zu verstehen außer dem freundlichen Lächeln des Kellners - und in aller Ruhe diese Geschichte zu schreiben.

Montag, 2. Dezember 2013

Sappho

- Rosenworte zum Montag -

Sappho, geboren um 612 vor unserer Zeitrechnung, war die früheste Dichterin der griechischen Antike, und der/die Erste überhaupt, die das Wort "Ich" in ihren Werken benutzte. Somit gilt Sappho - sprich: [ßapfò] - als die Begründerin der 'modernen' Lyrik.

Ihre wenigen erhaltenen Werke sind von einzigartig klarer Schönheit, seit Jahrzehnten beflügeln ihre Worte meinen Alltag.

Rose vor antiker Mauer, Pamphylien

Sappho war auch die erste, die die Rose "Königin aller Blumen" nannte:

Es erröten wie die Mädchen nun die Hecken, seht nur hin,
Oh die Rose, ach, die Rose ist der Blumen Königin!
Rosen beschatten alle Hänge;
traumlos rieselt der Schlaf von ihren bebenden Blättern.
Wenn Zeus den Blumen eine Königin geben wollte,
müßte die Rose diese Krone tragen.*

Wenn das auch eher eine Poesie für den frühen Sommer sein mag, mir ist heut sehr danach, mir das Novembergrau da draußen mit rosigen Gedanken etwas erträglicher zu machen.

Traumlos rieselt mein Winterschlaf ... ach wenn das doch möglich wäre! Ich würde erst wieder erwachen wollen, wenn die Rosen neue Knospen treiben, und nicht nur in meiner Erinnerung zärtlich duften!

* zitiert nach: Welt der Rosen


ps.
... ach, fast vergessen:
Ich wünsche der geneigten Leserschaft eine königlich rosenduftige Woche - zumindest in Gedanken!

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Montag, 25. November 2013

Wandelrosen

Die Rosenworte zum Montag ....

.... auch heute wieder eher kurz und knapp, weil ich mich an einem Ort befinde, an dem das Internet kein breites Band hat:

Wandelröschen (lantana camara) am Meer

"Wenn der Wind des Wandels weht, 
bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen." 
(evtl. aus China*)

.... noch wieder andere setzen die Segel .... oder ziehen einfach mit dem Wind ein Stück weiter, wohin auch immer es sie wehen mag ....

Ich wünsche ein starkes und gelassenes Herz in stürmischen Zeiten.

*当变化的风吹起时,有人会造墙,有人会造风车
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Montag, 18. November 2013

Geduld

- Rosenworte zum Montag - 

Heute mal aus dem näheren Osten, von Schams-e Tabrizi (persischer Mystiker, 13. Jhdt., Lehrer und Freund von Mevlana Dschalal ad-Din ar-Rumi

Moschee in Side (Türkei)

"Geduldig sein bedeutet nicht, etwas untätig zu ertragen. 
Geduldig sein bedeutet, genug Weitsicht zu besitzen, 
um auf das Ergebnis am Ende zu vertrauen. 
Geduld ist, den Dorn zu betrachten und die Rose zu sehen."

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Montag, 28. Oktober 2013

Für Laurie Anderson

- Rosenworte zum Montag - 

Wenn eine große Seele den Planeten verlässt, gibt es einen donnernden Nachhall.

Als die Tagesschau gestern abend meldete, dass Lou Reed gestorben ist, hat es eine Weile gedauert, bevor es wirklich in mir ankam, WER da gegangen ist.



Noch mehr aber hat mich beschäftigt, WER da jetzt übrigbleibt: Laurie Anderson ist Lou Reeds Witwe, im Video oben die beiden im Duett aus dem Jahr 1996, erst 2008 hatten sie geheiratet.

Lauries Musik ist ein bißchen verschollen, aber seit Mitte der 80er war sie mir viele Jahre lang Inspiration und Heldin. Ich liebte und liebe ihr verschmittstes Lächeln und das koboldhafte Blitzen in ihren Augen, ihre wunderbare Stimme, die experimentellen Töne, ihre kurzen, schrägen Video-Clips - und diesen Mund! Oder diesen wunderbarschönen Mund!



Die Rosenworte heute:

Paradise is exactly like
where you are right now.
Only much, much better.
Laurie Anderson ("Language is a Virus")

r.i.p. Lou
stay alive, Laurie!
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Mittwoch, 23. Oktober 2013

Minijob

Seitdem im Herbst vor einem Jahr der Medienkonzern meine Halbtagsstelle gekündigt hat, bin ich unverändert auf Arbeitssuche und versuche, mit dem kargen Arbeitslosengeld II irgendwie über die Runden zu kommen.

Zwischen Rheinebene und Schwarzwald

Bisher ist es mir nicht gelungen, im bezahlten Erwerbsarbeitsleben wieder Fuß zu fassen. Zwar hatte ich mehrere Vorstellungsgespräche und war auch bei einer Stelle ganz nah dran. Das ist schon ein Wunder, wenn eine über 50 ist, bestens qualifiziert und etwas mehr Honorar erwartet als den ungesetzlichen Mindestlohn.

Aber für einen Arbeitsvertrag hat es dann doch nicht gereicht.

Nun ist es mir immerhin gelungen, einen Minijob zu ergattern:

Ich darf Anzeigen Korrektur lesen bei einem regionalen Wochenblatt. Stundenweise, auf Abruf.

Das Honorar beträgt 10 Euro die Stunde. Für eine, die mal Kulturredakteurin war bei der ARD, ist das lächerlich. Da habe ich schon als Studentin vor 30 Jahren mehr verdient.

Die Zeiten haben sich geändert.Ich bin schon froh, dass ich das überhaupt machen darf, denn das habe ich nur der Verkettung von ein paar mehr oder weniger großen Zufallen zu verdanken:
Angefangen damit, dass ich die Zeitung überhaupt in meinem Briefkasten hatte. Bis vor kurzem klebte da nämlich noch ein Aufkleber „Keine Werbung bitte (und auch keine kostenlosen Zeitungen)“, weil mich diese Anzeigenblätter so nerven! Jahrelang haben sich die Zusteller daran gehalten.

Der Aufkleber war altersschwach, ich hatte ihn entfernt und noch nicht durch einen neuen ersetzt. Zack! Da war mein ungeliebtes Wochenblatt wieder da. Im Allgemeinen benutze ich es ohnehin nur, um Kartoffelschalen darin einzuwickeln oder den Mülleimer damit auszulegen.

Dass ich das Blatt an jenem Vormittag ausnahmsweise gelesen habe, lag nur daran, dass ich noch eine knappe halbe Stunde Zeit zu überbrücken hatte, bevor ich mich auf den Weg machen wollte, um pünktlich zu einer Frühstücksverabredung in der Stadt zu sein.

Die weiteren günstigen Koinzidenzen waren dann, dass ich a) das „Stellenangebot“ überhaupt entdeckt habe, b) sofort – trotz Feiertag! - dort anrief, dass ich es c) rechtzeitig gelesen habe um d) die erste zu sein, die sich darauf meldete und e) die zuständige Kollegin - wegen Feiertag! - in einer entspannten Atmosphäre am Telefon erwischte, so dass sie f) sich über meinen Anruf freute, g) mir geduldig zuhörte, h) Zeit und Lust hatte, mir ausführlich zu antworten und i) mir sofort einen Termin für ein Kennenlerngespräch vorschlug.

Wie viele Bewerbungen es insgesamt gab, weiß ich nicht. Es müssen sehr viele gewesen sein. Das Telefon klingelte noch, als ich eine Woche später bei ihr im Bewerbungsgespräch saß.

Tags darauf war ich eingeladen zu einem ersten „Probearbeiten“. Auf meine Kosten naürlich, unbezahlt. Einarbeitung wird bei Aushilfsjobs wohl nicht mehr vergütet, diese Zeit muss ich als prekär Beschäftigte meinen Arbeitgebern schenken.

Da bin ich ja schon froh, dass ich nicht noch draufzahlen und vorher eine teure Schulung absolvieren muss, in der mir als bestens qualifizierter journalistischer Fachkraft das Korrektur lesen erst noch auf meine Kosten beigebracht wird.

Immerhin, „auf Probe“ war nur ein Nachmittag, die paar Stunden meiner Lebenszeit schenke ich Euch Arbeitgebern. Ab dem zweiten Arbeitstag schenkt ihr mir ja jetzt Geld für die Zeit, die ich in Euren geheizten Räumen mit Aussicht verbringen und Tippfehler rot ankringeln darf. Ihr hättet mich auch vom Jobcenter geschenkt kriegen können als kostenlose Praktikantin für ein paar Monate. Darauf habt ihr verzichtet. Dafür danke!

Nun fahre ich also zwei Mal die Woche für zwei bis drei Stunden in die benachbarte Kurstadt. Bei trockenem Wetter kann ich die paar Kilometer radeln. Das trägt zu meiner Fitness bei. Quasi ein kostenloser Zusatznutzen zum zu erwartenden finanziellen Rebbach.

Natürlich werde ich als Hartz-4-Empfängerin nicht allen Lohn behalten und sorglos verprassen dürfen. Ich finde das auch völlig in Ordnung, wenn ich den SteuerzahlerInnen so viel wie möglich und nötig zurückgebe von den Geldern, mit denen sie mein Existenminimum so großzügig unterstützen.

Es ist allerdings keineswegs so, dass ich – wie oft angenommen – die ersten 170 Euro behalten darf.

Behalten darf ich nur die ersten 100 Euro. Die gelten als Aufwandsentschädigung für Fahrtkosten, Arbeitskleidung, Arbeitsmaterial, Versicherungen, Bewerbungs- und Kommunikationskosten, Verpflegungsmehraufwand ...

Darüber hinaus gebe ich von jedem Euro Einkommen 80 Prozent ab, darf also nur 20 Eurocent behalten. Das ergibt bei einem Minijob mit einem Monatsverdienst von durchschnittlich maximal 450 Euro maximal 170 Euro im Monat.

So viel werde ich aber gar nicht verdienen. Bei vier bis sechs Wochenstunden komme ich auf höchstens 250 Euro im Monat, von denen ich dann 130 Euro für mich behalten darf. Aber besser als nix. Ich bin ja schon froh, wenn mein Leben ein bißchen weniger schlimm ist. Dass es jemals wieder gut werden könnte, wage ich kaum noch zu hoffen.

Was noch? Ach ja: Theoretisch stehen mir bei meinem Minijob auch Urlaubstage und anteilige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu. Ob ich die auch erhalte, bleibt abzuwarten. Eine schriftliche Vereinbarung habe ich bislang noch nicht gesehen.

Wenn ich den Minijob behalten will, werde ich tunlichst nicht nach weiteren Details fragen und nicht auf die Einhaltung der mir zustehenden Rechte pochen: Es stehende Dutzende weiterer BewerberInnen Schlange, die die Arbeit zu den bestehenden Konditionen mit Handkuss übernehmen würden.

Welcher (Zeitungs-)Verlag leistet sich heute noch eine Korrekturleserin? Da sind zehn Euro die Stunde vergleichsweise viel. Das verdienen oft nicht einmal die freien JournalistInnen. Dass es nur ein Bruchteil ist von dem, was ich früher einmal verdient habe, zählt nicht. Viele 450-Euro-Jobs sind inzwischen ausgelegt als Halbtagsstellen mit einem Stundenlohn von Fünfeuroäpfelputz. Da habe ich es doch gut!

Außerdem ist das Korrekturlesen eine Arbeit, die ich einfach gut kann, bei der ich fast gar nicht in Stress gerate. Im Verlag sitze ich mit den Korrekturstapeln allein in einem ruhigen, gerade nicht genutzten Raum oder in der Küche – ohne Telefon und ohne PC. Das ist geradezu erholsam.

Mit das Schönste: Mein inneres Kind freut sich ein Loch in den Bauch, wenn es mit dem Rotstift lustige Kringel aufs Papier malen darf. Auf Papier! Ganz analog!

Deswegen bin ich jetzt einfach mal dankbar und ignoriere das bisschen zähneknirschende Grummeln im Bauch. Lieber wäre mir natürlich, wenn ich mich von meiner Arbeit auch endlich wieder ernähren könnte - und von den Demütigungen des Jobcenters nicht mehr abhängig wäre.


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Montag, 21. Oktober 2013

Den Regen spüren

- Rosenworte zum Montag - 

Irgendwie wird es nicht richtig hell heute. Wolken ziehen über den Himmel, bringen Regen und manchmal helle Lücken.

Ich mag Tage wie diesen, wenn große Tropfen aufs Dachfenster trommeln. Ich muss nicht großartig raus heute: Habe nur ein Paket zum Hermes gebracht, abends noch ins Yoga.

Beides Ausflüge in andere Orte, die ich mit dem Auto erledige. Hätte das Paket vorhin in den Fahrradkorb gepasst, wäre ich geradelt. Hat es aber nicht. Später war ich froh drum. Denn auf dem Rückweg wäre ich nass geworden.

Charles de Mills (historische Gallica) nach dem Regen

Ob ich den Regen auch hätte spüren können, muss für heute im vagen Konjunktiv bleiben, weil es von vielen Variablen abhängt und meiner jeweiligen Tagesform:

Hätte der Wind mir den Regen ins Gesicht geweht und die Brille blind gemacht? Hätte ich gefroren? Oder hätte ich gleichzeitig einen Regenbogen gesehen? Ein Auge gehabt für regenschwere Rosenblüten? ....

Some people feel the rain. Others just get wet.**
(Bob Marley zugeschriebenes Zitat ungeklärter Herkunft)

Tränen grinsend erinnere ich mich an sommerliche, auch an mitternächtliche Regengüsse, irgendwo draußen und ohne Regenschirm. Innerhalb von Sekunden nass bis auf die Haut, warm war's und .... sexy. Verdammt lang her.


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Manche Menschen spüren den Regen. Andere werden einfach nur nass.
Manche Menschen können den Regen spüren. Andere werden nur nass. Some people feel the rain. Others just get wet. --> http://myzitate.de/stichwoerter.php?q=Regen
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Montag, 14. Oktober 2013

Reisetante

- RosenReiseworte zum Montag - 

Es gibt so Tage, da bin ich einfach nur dankbar, dass ich nicht in einem früheren Jahrhundert lebe und mich (fast gar) nicht an irgendeine ständische oder gesellschaftlich vorgeschriebene Kleiderordnung halten muss.

Ich darf Hosen tragen wann immer ich will, darf laufen und springen, zwei Treppenstufen auf einmal nehmen und Fahrrad fahren und - wenn ich es könnte - breitbeinig auf einem Pferderücken sitzen.

Taggia, Ligurien

Für die Weltreisende Ida Pfeiffer zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das nicht selbstverständlich. Hätte ich als junge Frau schon von ihr gewusst - sie wäre mein großes Vorbild gewesen.

"…wie lächerlich mußte ich in langen Kleidern aussehen, als ich dabei immer noch lief und sprang und mich in allem benahm wie ein Junge."**

Nichts gegen lange Kleider! Aber ich bin sehr froh, dass ich die Wahl habe, ob und wann ich eines anziehe!


**Ida Pfeiffer (geboren am 14. Oktober 1797) über ihre Zeit als Teenager, gefunden in der Datenbank alter Baedeker-Ausgaben.
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Montag, 7. Oktober 2013

Glückseligkeit

- Rosenworte am Montag -

An manchen Tagen muss ich ganz weit zurück gehen in die Ursprünge der Philosophie, um mich des Menschenrechts auf einen eigenen Lebenssinn zu vergewissern und ihn mir wieder neu zu stiften.

Das ist immer dann besonders wichtig, wenn das Jobcenter als Unterstützer meiner prekären Lebensumstände mich - so wie derzeit - unter Ignoranz sämtlicher fachärztlicher Atteste und klinischer Gutachten mal wieder in die Depression "fördert und fordert".

Félicité Parmentier, Belgien 1843

Um intellektuell nicht vollends zu verlottern, habe ich mich ausnahmsweise** mit der Aristoteleschen Glückseligkeit beschäftigt und bin - etwas platt verkürzt - zu folgendem Ergebnis gekommen:

Herr Aristoteles hielt die Glückseligkeit (Eudämonie, aus dem griechischen εὐδαιμονία = einen guten Dämon haben) als "seelisches Glück" für das höchstes Gut und Endziel des menschlichen Handelns.

Das bedeutet, durch gelingende, rechtschaffene Lebensführung und wohlwollendes Schicksal ein seelisches Wohlbefinden zu erreichen inklusive äußerlicher, körperlicher und seelischer Güter.

Den Weg dahin gestaltet jede nach eigener Fa­çon und Möglichkeit mit bestmöglichem Menschenverstand.

Nach dieser erklärenden Präambel nun meine Rosenmontagsworte:

Mögen die Damen und Herren vom Amt 
sich bei der Auslegung der (Hartz4-)Paragraphen 
rechtschaffen wie gute Dämonen verhalten und 
kraft ihres Verstandes zu der Erkenntnis gelangen, 
dass es ihrer persönlichen Glückseligkeit 
überhaupt nicht zuträglich ist, 
wenn sie mir die meine zu verhindern trachten.


PS.
** Aristoteles war der Meinung, die Frau sei ein verfehlter Mann. Deswegen ist er für mich im Allgemeinen keine ernst zu nehmende Autorität und ich bin mir nicht sicher, ob seine Theorie der Glückseligkeit überhaupt auf die weibliche Mehrheit der Bevölkerung in unserem Land anwendbar ist. Einen Versuch ist es mir dennoch wert - als besondere Maßnahme quasi.


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Sonntag, 6. Oktober 2013

Pflaumenkuchen aus dem Elsass

Noch ist die Jahreszeit der blauen Pflaumen, und was gibt es an einem Sonntagnachmittag schöneres als einen frischen Zwetschgenkuchen mit viel Schlagsahne?!

Das Büro für besondere Maßnahmen hat es ja normalerweise nicht so mit Küchendingen und Hausarbeiten.

Aber „Ausnahmen zersetzen die Regel“, und weil ich seit kurzem stolze Besitzerin einer absolut pflaumensaftauslaufsicheren Glasbackform bin, möchte ich euch an diesem ersten Sonntag im Oktober ausnahmsweise ein Backrezept präsentieren:

La Tarte aux Quetsches Alsacienne

Meine unschlagbare Zwetschgentarte mit Pâte Brisée d'Alsace – schlicht und sensationell lecker!
200 g Dinkel- oder Weizenmehl, 100g süße Butter, ein glückliches Hühner-Ei, ½ Teelöffel Salz und 12 g Zucker (aufgelöst in 40 ml warmem Wasser) zu einer glatten Teigkugel für den Boden kneten und zwei Stunden im Kühlen ruhen lassen. Wer kein Ei mag, lässt es weg und nimmt statt dessen 60 ml Wasser mehr.

Den Teig ausrollen und in eine gefettete Obstkuchenform geben, so dass ein kleiner Rand entsteht; dann mit den in der Zwischenzeit entsteinten und fächerförmig aufgeschnittenen Zwetschgen spiralförmig von außen nach innen belegen.

Im Backofen bei 200° C ca. 45 Minuten backen, wer mag streut danach Puderzucker drüber. Aber bloß kein Zimt!

Die Pâte Brisée Alsacienne ist ein Mürbeteig, der fast ohne Zucker auskommt. Die Tarte aux Quetsches schmeckt daher ebenso als fruchtig-leichtes Abendessen. Ganz ohne Zucker eignet sich das Grundrezept auch für Quiche Lorraine oder Gemüsekuchen.

Das französische Originalrezept fand ich auf einer alten Postkarte aus Colmar, die ich vor mehr als zehn Jahren von einer Freundin bekam. Damals gab es noch kein Postcrossing, und wir beglückten uns regelmäßig mit postalischem Beweismaterial von unseren Ausflügen.


PS.
Falls hier WeightWatchers mitlesen:
Die Tarte als Ganzes hat 44 Punkte. Die Größe der Kuchenstücke bestimmt ihr selbst.


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Montag, 30. September 2013

zwei königinnen

- rosenworte zum montag -

dieser montag ist grau und nebelfeucht. auf dem tisch in der vase erzählen ein paar rosenblüten von erst kürzlich vergang'nen sommertagen. die katze plaudert mit.

Ginivra & Duftwolke

"Ich habe zu Hause zwei Wesen, die kratzen,
Rosen und Katzen,
zwei königlich Wesen, die schmeicheln und kosen,
Katzen und Rosen."

(Zitat unbekannter Herkunft aus: 
"Rassekatzen" von Annelie Durth, Verlag Oertel + Spörer)

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Freitag, 27. September 2013

postkasten

- besondere maßnahme no. XXXI -

könnt ihr euch noch erinnern, wann ihr die erste email geschrieben habt? an wen? oder von wem ihr die erste elektronische post erhalten habt?

ganz ehrlich? ich weiß es nicht mehr. es muss irgendwann ende der 90er jahre des vorigen jahrtausends gewesen sein, ist also im grunde noch gar nicht so lange her. vor allem, wenn ich bedenke, dass ich schon seit anfang der 80er jahre mit computern arbeite.

Blaubeeren aus Russland

was ich noch sehr gut weiß, ist, dass sich einige pressestellen sehr darüber wunderten, dass ich in meiner redaktion eines berliner ard-senders bis zum ende des jahres 2000 keine persönliche email-adresse hatte (das wurde als unnötig betrachtet) – während ich privat schon längst online vernetzt war.

anfangs freute ich mich sehr über das papierärmere büro. es war eine erleichterung, weniger altpapier zum container tragen zu müssen. dass aber irgendwann mein analoger postkasten mit ausnahme von rechnungen und unerfreulicher post vom amt so gut wie leer bleiben würde – das konnte ich mir damals nicht vorstellen.

heutzutage kommen kaum noch persönliche briefe oder karten an. der briefträger, den ich früher sehnsüchtig erwartete, weil er mir oft so schöne bunte dinge mit abenteuerlichen briefmarken aus der fremde brachte, hat seinen zauber verloren.

im digitalen zeitalter kommen nicht nur urlaubsgrüße als sms, als allgemein gehaltene rundmail oder gleich als öffentlich auf facebook gepostetes knipsefoto, sondern sogar todesanzeigen. der persönliche gruß, die handverlesene karte samt liebevollst abgeschleckter briefmarke sind pure nostalgie.

Englische Telefonzelle aus Thailand

innehalten unterwegs oder manchmal auch im alltag, sich über den eigenen standort klar werden und den daheim verweilenden oder freundInnen in der ferne handschriftlich mitteilen, wie es gerade geht und dass ich an sie denke - das wird zumeist nur noch als lästige zeitverschwendung und unnötige geldausgabe angesehen.

schade.

längst ist mein postkasten kaum mehr als dekoration am hauseingang. es gibt keine überraschungen mehr. seit jahren schon öffne ich die briefkastenklappe nicht mehr in neugieriger vorfreude, sondern mit einem angstvollen klumpen im magen. auf rechnungen und deutschgraue amtsbriefe würde ich gerne verzichten. die teure edelstahlkiste könnte man von mir aus ruhig abhängen. das darf ich als gute bürgerin aber nicht.

da ich weder den briefkasten entfernen noch den empfang unliebsamer post abstellen kann, musste für das postalische gleichgewicht eine besondere maßnahme her:

vor ein paar monaten habe ich mich angemeldet bei Postcrossing. das ist eine art versandportal für echte postalische schneckenpostpostkarten. wenn ich eine postkarte schreiben möchte, erhalte ich eine zufällige anschrift irgendwo auf der welt. sobald meine postkarte dort als 'angekommen' registriert wird, wird meine adresse an jemand anderen verlost.

das projekt Postcrossing besteht als webseite seit 2005. mehr als vierhunderttausend "postcrossers" haben bisher fast 20 millionen postkarten weltweit hin und her und kreuz und quer geschickt.

anfangs war ich skeptisch. aber es funktioniert – unkompliziert und kostenlos, und es macht spaß.

Orchideen aus Israel

es ist natürlich ein unterschied, ob mir ein guter freund von seinem ausflug ans andere ende der welt einen lieben herzensgruß schickt – oder ob eine unbekannte aus irgendwo mir ein paar freundliche zeilen smalltalk auf eine postkarte schreibt.

trotzdem: in jeder karte steckt ganz viel persönliches, liebevolles gestalten und nachdenken über die frage „wie kann ich dieser fremden person, deren anschrift mir nun mitgeteilt wurde, eine freude machen?“

es ist nicht ganz das „echte“ gefühl - eher ein bißchen 'pseudo'. wie kaffeesurrogatextrakt - und doch bringt es in meinen täglichen gang zum briefkasten wieder ein bißchen vorfreude, so wie früher. ich lass ihn noch eine weile hängen.

postcrossingkarten schreibe ich zwei bis drei mal im monat. fast ebenso viele erhalte ich auch.

mein persönlicher nebeneffekt: zusätzlich schreibe ich auch wieder mehr postkarten an 'meine' leute, die in aller welt verstreut leben. einfach so. ich hoffe, sie finden das nicht allzu schrullig.


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Montag, 23. September 2013

romy

- rosenworte zum montag -

es wäre ihr 75. geburtstag heute. sie hat rosen sehr geliebt. ihr leben war nicht immer nur rosenduft.

Charles Austin (David Austin, 1973)

Romy Schneider wollte von ganzem herzen sie selbst sein, wollte respektiert und geliebt werden, wie sie wirklich war. auch wenn das anderen, die sie gerne lebenslänglich als Sissi gesehen hätten, nicht immer ins konzept passte. sie blieb konsequent. bis zum schluss.

"Manchmal muß man einfach nach seiner Nase gehen.
Auch wenn man sie sich dabei mal einschlägt." 


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Montag, 16. September 2013

gezähmt

- rosenworte zum montag - 

vor ungefähr einem jahr erhielt ich ein kleines geldgeschenk von einer leserin* in der wunderbaren absicht, dass ich nicht nur über steine, sondern auch über schöne momente stolpern möge.

nun, ich habe die summe noch im herbst in einen rosenstock, beste erde und einen schönen terracotta-kübel investiert, eine immergrüne alchemilla dazu kombiniert und das ganze über den winter auf meinem balkon ruhen lassen, gut eingepackt.

die duftende Veronique B.** von Guillot

im frühjahr wurde ausgepackt, regelmäßig angesehen, schädlinge entfernt, pilze gebannt, wegen später fröste noch einmal eingepackt, später erneut ausgewickelt, mit rosenpflaster verarztet, geschnitten und drei mal täglich auf dem halbschattigen balkon hin und her geschoben, damit sie immer in der sonne steht.

mehr als vierzig blüten hat die schöne Veronika mir im lauf des sommers geschenkt. sogar jetzt noch treibt sie neue knospen. gerade so, als ob sie mir vor dem winter eine ganz besondere freude machen wollte.

die blüten machen sich bestens in der vase, der ganze raum ein rosenaroma. über diese duftigen momente stolpere ich gerne!

um es mit dem kleinen prinzen zu sagen: ich habe diese rose gezähmt, habe sie mir vertraut gemacht, und nun bin ich für sie verantwortlich.

"C’est le temps que tu as perdu pour ta rose 
qui fait ta rose si importante." ***


*
großer rosendank an WY. ich freue mich täglich!

**
benannt wurde die rose nach der schweizer schmuckdesignerin Véronique Brandon, die in bemerkenswerter unabhängigkeit kreativ ist.

***
"Die Zeit, die du an deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wertvoll." - sprach der fuchs zum kleinen prinzen, im 21. kapitel. den französischen originaltext von Antoine de Saint-Exupéry, übrigens, gibt es hier als kostenloses ebook.


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Montag, 9. September 2013

herbst. zeitlos.

- rosenworte zum montag -

der späte sommer ist "meine" jahreszeit. deswegen heißt er auch altweibersommer. es ist die zeit der zeitlosen gewächse. nicht rose noch lilie und dennoch schön anzusehen, wenn der herbst kommt:

Weder Krokus noch Safran: Herbstzeitlose

der gärtnerin ein hübsches glück, der landwirtin eher unglück ist die lila herbstzeitlose: hochgiftig für mensch und tier. in der homöopathie hingegen gilt sie als heilend gegen gicht.

so hat denn auch diese schönheit ihre zwei seiten, mindestens - je nach standpunkt der betrachterin. ich bin sehr froh, dass es in unserer durch und durch optimierten und rationalisierten zeit noch orte gibt, an denen blumen auch mal giftig sein dürfen, ohne dass ihnen gleich mit dem flammenwerfer zuleibe gerückt wird.

Wiese am Kirnbergsee, Hochschwarzwald
zeitlos. zwecklos. unbehelligt vom botanischen rassismus, der unweigerlich in einen pflegeleichten rentnergarten gipfelt. deswegen augen auf, damit uns das erspart bleibe:

"trau nicht dem ort,
an dem kein unkraut wächst"

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Donnerstag, 5. September 2013

dos 14

im leben einer alkoholikerin ist der erste nüchterne tag sehr wichtig, erst recht, wenn er in ein lange zeit alkoholfreies leben führen soll. im allgemeinen weiß eine das erst hinterher, für WIE lange. bei mir werden es heute vierzehn jahre.

archivbild: leicht verkatert, aber genußfreudig
 (*, **)

manche nennen diesen tag ihren „zweiten geburtstag“. für mich passt das nicht, denn ich bin nicht ein zweites mal geboren. ich war vorher nicht tot und auch nicht lebensunfähig. mein geburtstag bleibt mein geburtstag, das war eine einmalige angelegenheit.

ich nenne diesen jahrestag heute meinen „dry day“. gestern vor 14 jahren habe ich wissentlich und willentlich die letzten alkoholhaltigen getränke zu mir genommen, in bester gesellschaft und zu einem phantastisch leckeren essen: einen feinen brut d'alsce, den heiteren sancerre. einen soliden hennessy zum schluss. lecker war's. adieu.

dass ich nie wieder damit angefangen habe, trotz bisweilen ziemlich widriger lebensumstände, dazu muss ich mir mal kurz selbst auf die schulter klopfen.

ich habe damals aufgehört, weil ich mir im spiegel wieder grade in die augen sehen können wollte.
meiner würde wegen.
weil ich so manches so satt hatte.
dass ich mich nicht mehr auf mich selbst verlassen konnte, zum beispiel.

aber es scheint, als sei mein leben auf eine schiefe bahn geraten. just in dem augenblick, als ich beschloss, straight & sober zu sein, um endlich mich und mein leben zu retten.

als ich noch alkohol trank,
war ich beruflich erfolgreich, hatte ich eine sichere wohnung, einen schönen mann, ein eigenes auto.
ich war körperlich fit, habe viel gelacht, und das leben war leichter.

jetzt trinke ich keinen alkohol mehr,
bin schon lange nicht mehr beruflich erfolgreich,
und habe satte 20 kg zugelegt.
die wohnung ist nicht mehr sicher, auch nicht mein 'zuhause',
der schöne mann längst fort,
das auto .... naja. wenn es denn die bezeichnung noch verdient - wird nächste woche 20.

mir ging es noch nie so schlecht in meinem leben - gesundheitlich, finanziell, seelisch, menschlich – wie im letzten jahrzehnt. ich habe keine ahnung und auch nicht mehr viel hoffnung, dass und wie das jemals wieder besser werden soll. von 'gut' wage ich schon gar nicht mehr zu sprechen.

ohne es zu wollen, bin ich in diesen 14 jahren ohne alkohol eine dicke, einsame, mittellose und verbissene alte geworden. eine richtig schlechte partie. manchmal weiß ich wirklich nicht, wozu ich überhaupt noch auf- oder die nächsten fünf minuten überstehen soll.

nur die würde, die mir aus dem alkoholfreien leben erwächst, die habe ich mir bewahren können. auch wenn das jobcenter seit jahren alles ihm mögliche veranstaltet, um mir auch das noch zu nehmen.

meine würde ist ein verdammt trocken brot.


*
ich löffle ein eis. und ich trage diesen schicken weißen taxifahrer-handschuh, weil ich im sommer eine sonnenallergie an den händen habe ....

**
das copyright für dieses foto gehört ausnahmsweise mal nicht mir, sondern jemandem, den ich grade nicht um erlaubnis fragen kann. hey CR, falls dich das bild hier nervt, just tell me.
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Montag, 2. September 2013

sweet rose of maunawili

- rosenworte zum montag -

heute vor 175 jahren wurde sie geboren:  Lili'uokalani, die letzte königin des inselstaates hawai'i.

mit 'hawai'i den hawai'ianern' kämpfte sie heftig gegen die annexion ihres landes durch die vereinigten staaten. hawai'i verlor und wurde 1898 von den USA übernommen.

königin Lili'uokalani gründete schulen, um besonders mädchen eine gute bildung zu ermöglichen.

außerdem war sie musikalisch begabt: mehr als 150 kompositionen hat sie hinterlassen. einige davon finden sich auf der wunderbaren CD "Na Mele Hawai'i: A Rediscovery of Hawaiian Vocal Music", eingespielt vom "Rose Emsemble" aus minnesota (US).

darunter auch ihr wohl berühmtestes lied aloha'oe, ein romantisches abschiedslied, mit dem unzählige schiffe auf hawai'i begrüßt oder auf see geleitet wurden:


... I have seen and watched thy loveliness
thou sweet rose of maunawili
... farewell to thee ...

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Freitag, 30. August 2013

innenspiegel

jeden tag aufs neue nehme ich mir vor: „aber heute schreibe ich endlich etwas in mein blog.“ und dann schaffe ich es doch wieder nicht.

Spiegellichter

nicht, weil mir die zeit dazu fehlte. nicht, weil mir die themen ausgingen. nicht, weil ich nichts mehr zu sagen hätte. ganz im gegenteil: das, was ich sagen will, ist zu viel. ich drohe daran zu ersticken und weiß nicht, wo ich anfangen soll.

es ist so schrecklich viel und so schrecklich schmerzhaft, dass ich es einfach nicht aufschreiben kann. weil mein eigenes leben mich so dermaßen triggert und fertig macht, dass ich über der tastatur heule und spucke, bis die platine geflutet ist.

angst, verzweiflung, hass und wut lösen sich ab, wohnen ganz nah beieinander. ich weiß keinen ausweg.

viel zu viel.
aber wenigstens mal ein zwischenstand:

die vom jobcenter angekündigte sanktion von neulich habe ich abwenden können. panik und schrecken bleiben. weil diese behörde mit ihren demütigungen und schikanen am längeren hebel sitzt. ich kann es mir nicht leisten, einfach mal eben für ein paar monate auf das existenz-minimum zu verzichten.

die neue arbeitsvermittlerin, frau Nicola, findet ihre art und weise, mir gleich mal eine sanktion anzudrohen, bevor wir uns auch nur guten tag gesagt haben, ganz normal. ich sei die erste, die sich darüber beschwert. weder konnte sie nachweisen, dass sie die erste einladung, die sie mir angeblich geschickt hat, auch ausgedruckt hat („das passiert irgendwo zentral und wird dann gleich verschickt“), noch dass der brief abgeschickt wurde („das wäre doch viel zu teuer, alles mit einschreiben zu verschicken“). erst recht nicht konnte sie beweisen, dass ich die von ihr „einladung“ genannte zwangsvorladung tatsächlich erhalten habe. damit war die sanktion zwar vom tisch. aber der schrecken bleibt und sitzt tief. die kundInnen werden bedroht, schikaniert und in verzweiflung gestürzt, um im zweifelsfall ein paarunddreißig euro zu sparen. wie viel brutalität, sadismus, bosheit und hinterhältigkeit braucht ein mensch, um so etwas tun zu können?

frau Nicola entpuppte sich zudem als manipulative, eiskalte und knallharte amtsperson. sie hörte mir nicht zu, ließ keinerlei argumente gelten. die eingliederungsvereinbarung, die sie mir aufzwängte, enthält nur pflichten für mich, mehr als jemals zuvor. von seiten des jobcenters passiert jetzt gar nichts mehr. sie informierte mich nicht einmal, dass ich nun im besonders strengen und repressiven „programm 50 plus“ gelandet bin. das erfuhr ich eher zufällig, als ich die EV später in der beratungsstelle meines vertrauens checken ließ. die EV ist brutal, aber rechtens.

die chance, im jobcenter im markgräflerland auf eine menschliche arbeitsvermittlerin wie die in hamburg lebende Inge Hannemann zu treffen, ist eher gering. hier im südwesten bei den katholischen spießern wird schikaniert, was nur geht.

frau Nicola zwingt mich, völlig sinnlose bewerbungen zu schreiben auf stellen, wo ich niemals dauerhaft arbeiten könnte. bloß damit frau Nicola ihre statistik abhaken kann. nur, dass unter druck bei mir nichts geht. under PRESSure werde ich dePRESSiv. das raubt mir alle kraft für sinnvolles, für eigenes, stimmiges, für kreatives. der druck, den sie ausübt, macht mich krank. ich kann mich nicht dagegen wehren, bin gnadenlos überfordert und stürze kopfüber in die selbstverletzung.

ich reagiere mit depressionen, schlaflosigkeit, zähneknirschen (schon wieder die beißschiene kaputt; vorgestern eine krone vom zahn gebissen), panik, tinnitus, kopfschmerzen. ich kratze mir die haut am kopf, im gesicht, am ganzen körper blutig, ballere mit den fäusten gegen meinen schädel bis es knirscht: „Kind, schlag dir das aus dem Kopf! Du wirst niemals die sein dürfen die du bist!“ - höre ich die böse mutter keifen. die schmerzlindernde rotweinflasche vor meinem inneren auge nimmt gigantische ausmaße an und rückt in meiner phantasie bedrohlich nahe.

wenn ich mit dem auto unterwegs bin, schaue ich mir in den rebhängen ganz genau an, in welcher kurve ich einfach nur stur geradeaus fahren müsste, um den absturz garantiert nicht zu überleben.

neulich nachts visionierte mir sehr plastisch, dass es mir gelungen war, ein wirklich schmerzlos tödliches gift zu finden. ich spritzte es erst der katze und dann mir. danach bin ich sehr friedlich eingeschlafen, die katze in meinen armen.

im traum war ich unendlich erleichtert. umso schlimmer war das erwachen: ich bin immer noch auf dem falschen planeten. erwerbslos. einsam. arm. nichts ist gut. gar nichts.

das resultat ist - mal wieder - eine erschöpfungsdepression, vorstufe von burnout. inzwischen auch fachärztlich attestiert. ich bin krank, falle für wochen aus. durch frau Nicolas druck finde ich erst recht keine arbeit, sondern werde ich von tag zu tag teurer fürs amt und liege der gesellschaft nun wirklich auf der tasche. dafür schäme ich mich in grund und boden.

mehr als achteinhalb jahre hartz4 sind längst mehr, als ein mensch ertragen kann. egal was ich gearbeitet habe seither: ich war immer angewiesen auf ergänzendes ALG2. weil es nur noch billiglohn gibt. für frauen erst recht. völlig wurscht, dass ich abitur und studiert hab, dass ich ne gute ausbildung hab, einen iq weit über 130, vielseitig begabt und kompetent bin. ich finde nichts passendes. meine arbeit ist nichts (mehr) wert. ich ebenso wenig.

neulich gab ich IT-nachhilfe für senioren. 5 öre die stunde. ein ehrenamt kann sich nur leisten, wer auch die ehre hat. 

ehre und sinn des lebens aber sind mir längst abhanden gekommen. ich existiere nur noch, um die gesetzlichen vorgaben und schikanen des jobcenters zu erfüllen. das ist kein leben.

trösten kann mich nicht einmal mehr der gedanke, dass all die gnadenlosen amtsbratzen ebenso wie die politikerInnen aller couleur, die die hartz4-folter für erwerbslose menschen beschlossen und in gesetze gegossen haben, es spätestens auf dem sterbett büßen werden.

der unermeßliche schmerz und terror, den sie millionenfach aussenden, wird auf sie zurückfallen. stück für stück. das ist ein kosmisches gesetz. dann können die frau Nicolas dieser republik sich röchelnd und wimmernd, aber mit rigidem buchhalterstolz auf die sadistisch dumpfe brust klopfen: "ICH habe unzählige unschuldige erwerbslose gefoltert, getriezt und gequält, mit „sanktionen“ und anderen schikanen in den finanziellen, emotionalen und gesundheitlichen ruin getrieben haben. ICH bin ein toller mensch und habe immer getan, was im gesetz steht. ich war eine gute deutsche!“

wie lange noch?

Montag, 26. August 2013

verdauung

- rosenworte zum montag -
"I don't know a better preparation for life than a love of poetry and a good digestion." *
dieses schöne zitat wird der amerikanischen schriftstellerin Zona Gale zugeschrieben. sie wäre heute 139 jahre alt geworden.

rosa gallica officinalis (apothekerrose**)
Zona Gale war literaturwissenschaftlerin, lyrikerin, dramatikerin, schriftstellerin und gehörte dem vorstand der University of Wisconsin an. 1921 erhielt sie als erste frau den pulitzer-preis in der kategorie theater (drama).

*
"Ich kenne keine bessere Vorbereitung auf das Leben als einen Hang zur Poesie und eine gute Verdauung." (übers.: mo jour)

**
die rosa officinalis, auch rosa gallica, apothekerrose oder essig-rose genannt, ist ein vielseitig einsetzbares heilmittel: unter anderem hilft sie bei magenkrämpfen, gegen durchfall und reguliert die verdauung.

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Montag, 19. August 2013

zäune?

- rosenworte zum montag - 

wie oft stoße ich an meine grenzen! öfter noch stoßen andere an meine grenzen - und dann ist es meine aufgabe, diese klar zu setzen und - um not zu wenden - auch zu verteidigen.

Fast ohne "Dornen": Clematis Rose (John Scarman, 2005)

rosen haben ihre grenzen meist schon eingebaut: sie schützen sich mit ihren eigenen stacheln.

daran, finde ich, ist sich gut vorbild nehmen. schließlich will ich mich frei entfalten und blühendes leben sein. so notwendig ein zaun bisweilen auch sein mag - er darf mich weder einengen noch prominenter selbstzweck meines lebens werden.

darum will ich nur so viel energie auf den zaun verwenden, wie gerade eben nötig ist, um nicht von irgendwelchen alten eseln gefressen zu werden. ansonsten pflege ich meine stacheln.

so sagt es schon ein altes sprichwort:


Die Blumen machen den Garten, nicht der Zaun.

lasst euch nicht unterkriegen!

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Donnerstag, 15. August 2013

vermieter – the next generation

für die, die's noch nicht wissen: ich wohne zur miete. im dachgeschoss.

die katholischen vermieter leben in der bel-etage, ein stockwerk tiefer. täglich mehrmals muss ich an deren wohnungstüre vorbei.

die vermieter haben erwachsene kinder: eine tochter und einen sohn, die mit ihren jeweiligen partnerInnen ziemlich weit weg leben.

die vermieterkinder haben sich fortgepflanzt. es gibt nun zwei vermieterenkelsöhne, ungefähr ein und zwei jahre alt. seitdem das so ist, hängen konterfeis der frisch geschlüpften erdlinge an der vermieterlichen wohnungstüre. außen!

"den Nachwuchs vor die Tür hängen"


die armen rot schrumpeligen würmer wurden durch den heimischen drucker mehr schlecht als recht im DIN-format A4 auf billigem papier in die welt gezwängt, schräg und schäps mit tesafilm an die tür geklebt.

seit zwei jahren also frage ich mich mehrmals täglich: warum machen die das? was ist das für ein brauch? warum hängen die katholiken (wahlweise vermieter / winzerdörfler / alemannen / baden / spießerdeutschen …) ihre säuglinge nach draußen vor die wohnungstüre ins ungeheizte treppenhaus – anstatt sie innendrin gut warmzuhalten, vor bösen geistern zu verstecken und zu beschützen?!

beide säuglinge tragen die namen von römischen kaisern – wie sich das gehört für die enkel von herrschaftlichen großgrundbesitzern mit einem stammbaum über mehrere jahrhunderte bis zurück zu den historisch belegten ersten siedlern des dorfes. selle kamen aus der schweiz, okkupierten das tal und teilten das land unter sich auf. an der sprache merkt man das bis heute, die ist in diesem ort ganz anders als im nachbardorf. sie haben nie richtig deutsch gelernt.

manchmal kommen die kinder mit den enkelkindern zu besuch und führen dem patriarchen und seiner eheputzkochhaushaltsfrau vor, wie gut sie ihre bälger schon dressiert haben.

ich sitz dann hier oben auf meiner balkon-empore und griemel mir eins. leider verstehe ich jedes wort, das unten im „wintergarten“ genannten glashaus und im rentnergarten gesprochen wird.

aber es ist doch interessant mitanzuhören, wie der alte herr dann in senil-frühkindliches duziduzi brabbel-speak verfällt und versucht, seinen künftigen steuerzahlernachkommen seine ihm lebenswichtigsten wörter beizubringen. vor allem die auswahl der vokabeln, die er unbedingt weitergeben muss, ist bemerkenswert. da lerne ich wirklich neues über meinen vermieter, der sonst eher türenschlagend, arrogant und in beleidigendem kommandoton daherkommt.

sehr lange wurde mit dem einjährigen geübt an dem schönen wort: flugzeugträger. genau. flug-zeug-trä-ger. oder habt ihr etwa ein anderes wort als erstes gelernt? das muss ein mann doch können! flug-zeug-trä-ger! seltsamerweise schien das kind weder sonderlich interessiert noch begeistert und gab keinerlei echo. nach gefühlten 108 wiederholungen gab der großvater auf.

es folgte die musikalische früherziehung. meine geneigten leserInnen wissen, dass mein herr vermieter sich für einen begnadeten musiker hält und täglich seine quetschekommode malträtiert. seit mehr als fünfzig jahren. er kann es immer noch nicht und ist in seiner rosamunde-gesinnung niemals über einen dumpfen viervierteltakt hinausgekommen.

also auch die enkel! instruiert wird auf dem piano im wohnzimmer. auf dem spielt sonst nie jemand. nur wenn die kinder zu besuch sind. dann intoniert der opa ein stolperndes „alle meine entchen“, und die kinder werden aufgefordert, das nachzuspielen. das können sie natürlich nicht. sie haben ja noch nie zuvor ein klavier gesehen und müssen erst einmal ausprobieren, was überhaupt passiert, wenn sie mit ihren patschehändchen darauf herumtatschen. dürfen sie von mir aus gerne. ich hätte auch gerne ein klavier gehabt, früher. aber es war mir nicht erlaubt, etwas zu besitzen, das lärm hätte verursachen können.

anders des vermieters enkelsöhne: sie dürfen ungefähr ziemlich genau dreimal auf die tasten hauen. jeder einzelne schräge ton wird begeistert kommentiert mit großem jubel und stolzem überschwang „ja wunderbar! ja du bist ja ein ganz großer! ein richtiger mozart! ja wo isser denn mein kleiner amadeus ….“

so verlängert das kleine vermieter-ego seinen narzissmus in die übernächste generation.

wenn aber nach dreimal tastenpatsch das nicht nur musikalisch in den kleinstkinderschuhen steckende nachwuchsmusiktalent immer noch keine symphonie (oder zumindest eine sonate) zustande gebracht hat, wird die musikalische früherziehung flugs beendet und der klimperkasten geschlossen.

sie dürfen nicht üben, die armen kleinen. sie müssen schon alles können. sonst ist der großvater nicht zufrieden.

den zweijährigen fand ich übrigens gar nicht so schlecht. er spielte sehr behutsam, nicht so haudrauf. es klang ein bißchen wie satie. sehr entfernt, versteht sich. aber das gefiel dem alten nicht.

für feine, leise töne hat der vermieter keinen sinn. nur für schenkelklopfende polka. und für flugzeugträger.


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Montag, 12. August 2013

wünsch dir was

- rosenworte zum montag - 

heut nacht kommt die erde dem meteorstrom der perseiden besonders nahe, bis zu hundert sternschnuppen pro stunde können wir dann am sommerhimmel sehen, direkt unterhalb der kassiopeia.

wenn denn das wünschen wieder hilft, bin ich gerne ganz vorne mit dabei!

Sweet Pretty (Meilland 2005)

auch in japan kennt man den brauch, sich beim entdecken eines "fließenden sterns" (流れ星 nagare-boshi) etwas zu wünschen. nicht nur bei schnuppen, sondern bei allem sternförmigen ist wunscherfüllung in aussicht - denn das wort hoshi 星 für stern ist homophon* (gleichklingend) mit dem verb hoshii 欲しい  für 'haben wollen'. deswegen gehört beides untrennbar zusammen: einen stern sehen und sich etwas wünschen - das ist in japan eins!

wenn die grillen im rosenduft der sommernacht ungeduldig zirpen, 
wenn sternschnuppen wunschlos glücklich dein haar zerstöbern -
dann ist das ein gruß von mir.


ps.
wem es die nacht heute bewölkt, die sei beruhigt: die perseiden sind noch bis etwa 27. august in planetennähe - nur heut nacht ab etwa 22 uhr bis gegen halb fünf in der früh kommt der höhepunkt des sternenregens auf uns zu. hier z. b. wird alles sehr anschaulich erklärt.


pps.*
jaja. ich weiß, dass laut neuer deutscher rechtsverschreibung die schreibweise homofon empfohlen wird. aber das geht doch nicht. nein das geht wirklich nicht.

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Montag, 5. August 2013

möbelstück

- rosenworte zum montag - 

es soll ja menschen geben, die ihren geburtstag am todestag einer namensvetterin feiern.

sicher eher zufällig, denn genau wie jeden tag auch noch irgend jemand anders geburtstag hat, stirbt auch täglich irgend jemand anders - das kann eine nicht immer wissen.

Colette (Meilland 1994)

dann wiederum gibt es freundinnen, die genau das bemerken und mit einem freundlichen zitat kommentieren:
Mon Dieu! Que la vieillesse est donc un meuble inconfortable! *
(Colette - in: Correspondance, le 5 décembre 1949)
alles gute!


*
Was ist doch das Alter für ein unbequemes Möbelstück!

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Sonntag, 4. August 2013

folgeeinladung

seitdem ich im herbst 2012 meine halbe stelle als redaktions-mitarbeiterin im medienkonzern verlor, bin ich wieder erwerbslos.

da die stelle dort so gering honoriert war, dass ich ohnehin auch während meiner zeit als angestellte ergänzendes alg2 in anspruch nehmen musste, bin ich seither wieder „voll auf hartz4“.

der große luxus von unten - phalaenopsis orchidee

nein, das ist nicht lustig. ich kann meine erwerbslosigkeit nicht als „fröhlichen zwangsurlaub“ betrachten, wie eine im umgang mit den deutschen jobcentern eher unbedarfte bekannte mir neulich aufmunternd vorschlug. hartz4 ist kein spaß in der sozialen hängematte, sondern folter.

ich will hier jetzt gar nicht darüber schreiben, dass der regelsatz von 382 euro – der angeblich das existenzminimum sichern soll – vorne und hinten selbst zu einem schlichtesten überleben nicht reicht, dass es krank macht und vereinsamt. ich übe mich in der kunst, stilvoll zu verarmen. darin bin ich sogar recht erfolgreich. es darf nur nichts kaputt gehen. und ich darf das haus nicht allzu oft verlassen.

ich will hier jetzt auch gar nicht darüber schreiben, dass das hartz4-verrechnungs-amt sich ständig zu seinen gunsten verrechnet und meine „leistungen“ auf diese weise noch weit unter das angebliche „existenzminimum“ drückt. auch nicht darüber, dass unsereins das dann erst einmal herausfinden, aufwendig recherchieren und sich beraten lassen muss, um widerspruch einlegen zu können und ggfs. anwälte und sozialgerichtsbarkeit in gang zu setzen, um dann erst monate oder gar jahre später unter aufwendung erheblicher zusatzkosten (und aller zur verfügung stehenden nervenenden) das klitzebißchen zu kriegen, was einer gesetzlich zusteht – und was für das alltägliche überleben JETZT dringend benötigt wird.

nein.

ich dachte, ich schreibe heute einmal über 'post vom amt':

alle arbeitslosenämter der republik benutzen seit jahren das immergleiche ekelhafte dunkelgraue recycling-papier in allerschlechtester qualität. es sieht nicht nur schäbig aus, es stinkt auch ganz unangenehm (und das mir, die ich den duft von papier doch sonst so sehr liebe!) das muss nicht einmal das billigste papier sein. ich vermute, dass da ein parteigenosse oder kuseng des arbeitslosenministers mit einem never-ending großauftrag den reibach seines lebens macht (dass das arbeitslosenamt mit öffentlichen geldern sehr großzügig ist, wenn es um die privaten vorteile der eigenen mitarbeiter geht, wissen wir ja nicht erst seit 2010).

schon wenn ich so einen dreckig grauen recycling-umschlag ohne briefmarke und ohne absenderaufdruck im briefkasten sehe, krampft sich mein magen zusammen, fängt mein herz in panik an zu rasen und wird mir spei-übel. können die sich denn nicht einmal anständiges papier leisten? es gibt auch schönes recyclingpapier, mit einem höheren weißegrad, das weder teurer noch umweltschädlicher ist.

wir sehen: das amt behandelt seine „kundInnen“ schlecht. also unsereine. schon das benutzte briefpapier schreit aus allen deutschgrauen recycling-fasern: „du böse erwerbslose sozialschmarotzerin bist genauso schmutzig wie unser papier und absolut wertlos.“

das wird durch den blauen engel auf dem briefumschlag nicht besser. auch nicht dadurch, dass mein finanzamt ein ähnlich deutschgraues recycling-papier benutzt.

der unterschied liegt im inhalt und im ton. mit dem finanzamt korrespondiere ich als steuern zahlende bürgerin „auf augenhöhe“.

das jobcenter hingegen bezeichnet mich zwar offiziell als „kundin“ - behandelt mich aber a priori wie eine rechtsbrüchige verbrecherin, die es zu maßregeln und aus der angeblich so kommoden faulenzerInnen-hängematte zu mobben gilt.

geld spart das jobcenter vor allem dadurch, dass es weniger auszahlt als gesetzlich vorgeschrieben ist. in der freiburger nachbarbehörde wurden schon vor jahren die mitarbeiterInnen angewiesen, möglichst „sparsame“ bescheide zu verschicken. die folge: mehr als 80 % der bescheide waren fehlerhaft. sprich: es wurden rechtswidrig geringe leistungen bewilligt.

das amt hoffte darauf, dass die mehrheit der erwerbslosen das vor lauter hängematten-idylle verpennt und sich mit der hälfte des ihnen zustehenden zufrieden gibt. das hat sich durchaus gelohnt. leider schafft es immer nur eine minderheit, gegen falsche bescheide widerspruch einzulegen und den eigenen anspruch tatsächlich durchzusetzen.

um zusätzlich geld einzusparen, scheint es zum handwerkszeug der jobcenter zu gehören, „kundInnen“ für böse verbrechen zu bestrafen, die sie gar nicht begangen haben. es werden sanktionen verhängt ohne rücksicht auf das geltende grundgesetz – das bedeutet, dass die leistungen für die betroffenen noch weiter unter das existenzminimum gesenkt werden. auch dann, wenn die kundIn sich gar nichts hat zuschulden kommen lassen.

von einer rechtskundigen augenzeugen weiß ich, dass ein vertreter des hiesigen jobcenters sich mit großem stolz auf die amts-brust klopft: „WIR sind das jobcenter, das die meisten sanktionen verhängt!!!“ eichmann wäre stolz auf ihn.

von diesem brutalen, menschenverachtenden ehrgeiz bin ich leider gerade betroffen:

der schreckliche graue brief von meinem jobcenter kam am freitag und hat mich so dermaßen aufgeregt (und tut es noch), dass ich bis heute gebraucht habe, um mich einigermaßen zu beruhigen und darüber schreiben zu können.

geschrieben hat ihn „Frau Nicola M.***“. die kenne ich noch nicht. wir haben uns noch nicht einmal guten tag gesagt. offensichtlich ist sie mir nun als „arbeitsvermittlerin“ zugeordnet. aber ich weiß schon jetzt, dass sie genau das – nämlich mir eine arbeitsstelle vermitteln – garantiert NICHT tun wird.

statt dessen schreibt sie, dass sie mein ALG II gleich mal für die nächsten drei monate um 10 prozent kürzt, weil ich letzte woche nicht bei ihr im termin war. von dem termin wusste ich nichts!

angeblich habe sie mir eine „einladung“ (jobcenterdeutsch für „zwangsvorladung mit androhung von geldstrafe bei nichterscheinen“) geschickt. seltsam, dass die nicht bei mir ankam. ich bin hier mit den postzustellerInnen persönlich bekannt, seit jahren. es ist noch nie post nicht angekommen.

nun habe ich also eine „folgeeinladung“ erhalten. das ist jobcenterdeutsch für „zweite zwangsvorladung mit androhung von weiteren und noch größeren geldstrafen bei nichterscheinen in folge“. das halte ich nicht für kundenfreundlich, sondern für erpressung.

zumal ich als erwerbslose gleich einmal vorab und pauschal unter den generalverdacht der leistungserschleichung gestellt werde. welch eine unverschämte unterstellung. ich bin weder freiwillig noch gerne ohne sinnvolle arbeitsstelle. ich hasse es, meinen lebensunterhalt nicht selbst verdienen zu können.

vermutlich wollte frau M. mich gar nicht erst kennenlernen, sondern lieber gleich geld sparen. es ist anzunehmen, dass sie das schreiben an ihrem pc zwar bearbeitet und gespeichert – dann aber weder ausgedruckt noch an mich abgeschickt hat.

da sie nun ihr schlechtes gewissen zu kompensieren hat, ist sie in diesem zweiten schreiben besonders pampig und extra schikanös. es ist zu vermuten, dass sich das bei der „anhörung“ nächste woche fortsetzen wird.

es ist aber aufgabe der arbeitsvermittlerin, mich als kundIn auf augenhöhe zu informieren und zu beraten. ich habe ein recht auf die mir gesetzlich zustehenden leistungen. das sind keine almosen. mit dem antrag auf das arbeitslosengeld habe ich nicht gleichzeitig auch meine menschenwürde im arbeitslosenamt abgegeben. mit bösartigen unterstellungen und schikanen kommt sie bei mir nicht weit.

darauf werde ich „Frau M.“ im 'folgetermin' ausdrücklich hinweisen. höflich, aber bestimmt. so, wie ich es auf der journalistenschule für den umgang mit schwierigen interviewpartnerInnen gelernt habe: Fortiter in re, suaviter in modo

zu diesem termin gehe ich natürlich nicht alleine. außerdem bin ich informiert, dass sie mir für die rechtswirksamkeit ihrer sanktion nachweisen muss, dass ich ihre erste einladung tatsächlich erhalten habe.

fortsetzung folgt ….


*** name ist der redaktion bekannt
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