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Sonntag, 24. Februar 2013

stundenglas

let us be kind to one another
we can try ….
before the sand does all run out
of the hourglass
(jeremy, 1973)

ich habe diese große sanduhr. ungefähr eine stunde lang rinnt der sand durch die gläserne taille.

vor vielen jahren habe ich sie gekauft, eigentlich zum baden. ich finde das schön, im meersalzigen badewasser zu wannen und dem sand zuzuschauen, wie er unten immer mehr und oben immer weniger wird. oben bildet sich eine vertiefung im sand, unten fließt ein hügel auf. unausweichlich. unaufhaltsam.

dann stelle ich mir vor, wie das wäre ….

Sanduhr & Sorgenpüppchen

ich bin ganz winzigwinzigklein und stehe da oben, innen drin: dort am rand, wo sich im sand der trichter bildet. ich bin so ein männchen im sand, ein sandmännchen. das ist gefährlich! ich muss die ganze zeit achtgeben, nicht den halt zu verlieren, denn sonst werde ich abrutschen und vom abfließenden sand in die tiefe gerissen. ich kämpfe und strample - vergeblich. irgendwann passiert es doch, und ich stürze ab. unausweichlich. unaufhaltsam.

nach dem sturz in die tiefe lande ich zunächst weich auf dem sandkegel in der unteren hälfte, der durch den aufprall kein gleichmäßiger kegel mehr ist. aber das macht nichts. der weiterfließende sand wird das schon ausgleichen. was die perfekte optik der sanduhr betrifft, ist mein absturz kein großes problem.

anders mein persönlicher zustand: augen, mund und nase, haare, hemd und hose sind voller sand. ich habe durst. es gibt kein wasser in der nähe. weder zum trinken, noch zum auswaschen. wasser im stundenglas würde den perfekten, reibungslosen ablauf gefährden wie andernorts sand im getriebe.

jenseits meines sandigen glashauses sehe ich in der ferne blaues wasser blitzen. ich komme nicht heran. die runden wände halten absolut dicht.

zum ausruhen ist jetzt sowieso keine zeit, denn nun muss ich acht geben, nicht verschüttet zu werden. der sandstrahl von oben rieselt stetig auf mich herab. unausweichlich. unaufhaltsam. wenn ich dem nicht geschickt ausweiche, werde ich darunter begraben.

ich kann nur hoffen, dass die obere hälfte bald leer ist. dann kann ich ein wenig zur ruhe kommen. gegen den durst wird mir schon noch etwas einfallen. ich hoffe und bete, dass ich eine verschnaufpause kriege, dass die sanduhr nicht sofort wieder auf den kopf gestellt wird. aber jemand wird kommen und sie umdrehen. unausweichlich. unaufhaltsam.

das leben in der sanduhr ist ein alptraum. es ist mein leben. es ist ein paradox.

es gibt kein entrinnen. das leben quält mich. von frühester kindheit an. ich strample und rackere mich ab, stürze im stundenglas von oben nach unten und wieder hinauf. ich habe großen durst. ich hoffe und hoffe, dass, wenn ich mich ganz besonders anstrenge, es dann irgendwann aufhört, dass es besser wird. aber es hört nicht auf, und es wird nicht besser. mein leben zerrinnt im quarz, der scheuert mir die seele wund. gnadenlos. ich bin sisyphos in der sanduhr.

während ich noch - hermetisch eingeschlossen im stundenglas - als geplagtes sandmännchen von wasser träume, sehe ich mich da draußen genüsslich in der wanne liegen. ich sehe, wie ich mich beobachte. ich beobachte, wie ich von mir gesehen werde. ich bin hier und dort, groß und klein, durstig und satt, innen und außen, zermürbt und entspannt - alles zugleich.

im stundenglas krabble ich im sand, in der wanne liegend sehe ich mir selbst dabei zu. und umgekehrt. ich sehe mir dabei zu, wie mein sandmännchen-ich sich zerquält, und ich …. tue nichts.

das ist seltsam schön und grausam zugleich. ich stelle die sanduhr absichtlich mit etwas entfernung von meiner wanne auf, damit ich dieses imaginäre schauspiel nicht unterbrechen kann, ohne auch mein bad abzubrechen.

während ich mich meiner sanduhr-meditation hingebe, summe ich das lied aus dem film jeremy. jedes mal:

lass uns nett zueinander sein. 
wir können es versuchen. 
bevor aller sand 
aus dem stundenglas geronnen ist.


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