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Sonntag, 7. April 2013

alpträume delegieren

besondere maßnahme no. XXVIII

nacht für nacht bin ich unterwegs, komme nicht an. bin zu spät, zu früh, werde verfolgt, bin auf der flucht, kriege den koffer nicht gepackt oder den container für den umzug; verpasse den flieger, den zug, den bus.

Steinmännchen am Bodensee - Konstanz

nacht für nacht werde ich im auto verfolgt, von geheimdiensten beschossen, mit messern bedroht; habe ich kein zuhause oder komme in eine verwüstete, zerstörte oder nicht mehr vorhandene, von anderen bewohnte wohnung zurück.

nacht für nacht finde ich mich an plötzlich unerlaubten orten wieder, werde ich bedroht und beschossen, stehe ich verletzt, blutend und nackt in empörter öffentlichkeit; schäme ich mich ratlos vor feindseligen kündigungs- und gnadenlosen familientribunalen.

nacht für nacht rückt das ziel in immer unerreichbarere ferne; stecke ich ausweglos bis zum hals in giftigem, brodelnd ätzenden schlamm, der mich zu ersticken droht; ist da, wo immer ein weg war, plötzlich ein tödlicher abgrund.

nacht für nacht werde ich bedroht, gefoltert, vergewaltigt; wird die katze vergiftet und mir häppchenweise serviert.

nacht für nacht bin ich müde, erschöpft und verzweifelt, will ich doch nur nach hause und ein bißchen ruhe - so wie andere menschen auch. aber ich finde den weg nicht, und ein zu hause gibt es gleich gar nicht.

gegen das, was ich nacht für nacht durchmache, sind die horrorgeschichten von Stephen King der reinste kindergartenkram.

ich bin immer allein. immer in angst. unfähig, die dinge zu erledigen, die ein 'normaler' mensch gefälligst mal eben schnell ohne großes aufsehen zu erledigen hat. niemals bin ich gut genug und offensichtlich immer schuld an etwas ganz schrecklich schlimmen, das den anderen erlaubt, mein leben für unlebenswert zu erklären, mich zu verachten, zu verfolgen, zu vertreiben, zu verletzen, auszuschließen.

der letzte schöne traum, den ich erinnere, liegt mehr als dreißig jahre zurück. selbst der begann mit einer katastrophe: ich war unterwegs im nachtzug von italien nach freiburg. die alpen machen mir angst, bedrängen und bedrücken mich. da kriege ich keine luft. deswegen nehme ich durch die schweiz immer den nachtzug, da muss ich die hohen berge nicht sehen. aber mein zug ist entgleist, mitten in der nacht, mitten in den alpen.

damals war ich in der phase zwischen abitur und studium. ich war 19, habe gejobbt, bin viel gereist, wollte welt sehen - und nicht nahtlos von einer schule auf die andere stolpern. nach diesem jahr war klar: ich werde in freiburg studieren. und dahin sollte der zug im traum mich bringen. über nacht.

der zug kam nie an. er entgleiste, kippte um, es ging nicht weiter. ich war aus meiner schlafkoje durchs offene fenster herausgerutscht, lag unter dem zug. mitten in den alpen. rechts und links bedrohliche steile bergwände. ich krabbelte unter dem zug hervor, rappelte mich auf und kletterte die wand hoch, stieg auf den berg. im dunkeln. stück für stück.

als ich oben ankam, brach die morgendämmerung an, eine freundlich warme sonne schickte ihre ersten strahlen über das rheintal. die aussicht war gigantisch. in der ferne sah ich mein geliebtes freiburg. da breitete ich die arme aus und flog.

auch in diesem traum kam ich nicht an. das gefühl des fliegens war so überwältigend schön, dass ich wach wurde. aber genau deswegen habe ich diesen traum als „schön“ in erinnerung. seit mehr als drei jahrzehnten. ich bin dann auch im echten leben nach freiburg gezogen.

seither gab es niemals wieder einen traum, aus dem ich fröhlich und zuversichtlich erwachte.

neuerdings reichen meine eigenen nächte nicht mehr aus für die vielen alpträume. sie unterwandern meinen freundeskreis:

eine bekannte erzählte mir vor kurzem, sie habe von mir geträumt. naja, nicht direkt. in ihrem traum ging es um mich, aber ich war nicht da. ich war mal wieder verreist. und sie wollte in meiner wohnung nach dem rechten sehen.

sie kam herein, die tür stand sperrangelweit offen, mein katholischer vermieter und andere ekelhafte männer latschten in meiner wohnung herum, fassten alles an, schoben unsanft möbel hin und her, warfen meine persönlichsten und privatesten dinge durcheinander und lästerten abfällig über die „renitente alte“ aus dem dachgeschoss. der balkon war von außen mit brettern vernagelt - meine sonst so helle und freundliche wohnung war dunkel und stank nach diesen widerlichen kerlen. der treppenabsatz vor der wohnungstür war abgerissen - man stürzte direkt ins treppenhaus hinunter.

meine bekannte war starr vor entsetzen, blieb aber tapfer, wollte die einbrecher vertreiben. die aber hatten keinerlei unrechtsbewusstsein, meine privatsphäre zu penetrieren. sie erntete spott und hohn und gelächter. der traum war sehr realistisch, denn so sind sie auch in echt, mein respektloser vermieter und seine primitiven dorfkumpels.

sie weinte, als sie mir das erzählte. hatte angst um mich gehabt. ich war bestürzt. und heimlich froh, dass sie mir einen alptraum abgenommen hatte, den ich selbst nicht passender hätte träumen können.

vielleicht wäre das eine möglichkeit, meine eigenen nachtwanderungen etwas entspannter zu gestalten? ich könnte meine alpträume delegieren.

ich würde allerdings nur ungerne weiterhin meine freundInnen damit belasten.

weiß nicht jemand, wie man alpträume channelt an - sagen wir mal - so jemanden wie meine ollen vermieter? oder besser: an menschen, die ihrer ewigen schönen träume längst überdrüssig sind und auch mal echten horror erleben wollen in der nacht? wäre das nicht eine ganz besondere maßnahme? eine erfolg versprechende geschäftsidee?

meine nightmare-productions sind von ausgesuchter gruselqualität. das könnte sich durchaus lohnen.
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