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Dienstag, 10. Dezember 2013

Sprachengewirr

Meine erste – nicht von Erziehungsberechtigten begleitete – Auslandsreise war eine Radtour mit FreundInnen in die benachbarten Niederlande. Damals war ich 15, und ich merkte schnell, wie nützlich und hilfreich es sein kann, die Sprache des jeweiligen Gastlandes zumindest im Grundwortschatz zu kennen.

Theather Restaurant am Amphitheater, Side (TR)

In der Schule hatte ich bis dahin Englisch und Latein kennengelernt, Italienisch und Französisch sollten nach den Sommerferien dazukommen.

Niederländisch hat niemals auf meinem Stundenplan gestanden, ich bin im Rheinland aufgewachsen, verstehe es irgendwie, wenn auch nicht zu 100 Prozent. Dass „irgendwie verstehen“ nicht ausreicht, wurde klar, als wir auf der Radtour plötzlich ganz dringend ein Teesieb benötigten.

In welchem Laden auch immer wir danach fragten, wurde uns immer nur duftige Teeseife angeboten. Es dauerte ziemlich lange, bis wir eine Ladenbesitzerin fanden, die genug Deutsch konnte, um uns neben der theezeep auch ein theezeefje zu zeigen. Wir waren glücklich und um eine fahrradtourüberlebenswichtige Niederländisch-Vokabel reicher.

Im Jahr darauf besuchte ich in den Sommerferien eine Brieffreundin in Südwest-Frankreich. Stolz wollte ich meiner Gastfamilie auf der Landkarte zeigen, auf welcher Route ich gereist war. Prompt vermischte ich die Vokabeln meiner bisher gelernten Sprachen: Verbuchselte das englische “travel” mit dem französischen “voyager” zu “travailler” und hatte plötzlich schon an erstaunlich vielen Bahnhöfen “gearbeitet” – im zarten Alter von 16 Jahren und sehr zur Verwunderung meiner Gasteltern.

Weitere Länder, weitere Sprachen folgten: Ich lernte Türkisch und Thai, Japanisch und Spanisch, ein bisschen Griechisch und ein bisschen Malaiisch. Wo immer ich unterwegs war, wollte ich die Menschen nicht nur verstehen, sondern auch selbst verstanden werden.

“Verstanden-werden-wollen” ist mir ein großes Bedürfnis seit meiner Kindheit. Ich dachte immer, es liegt an mir, wenn meine Eltern nicht wussten, was ich meinte; wenn sie mit mir Dinge taten, die ich nicht wollte. Mein Deutsch war für sie scheinbar nicht deutlich genug. Also erfand ich neue Wörter, quasi aus Notwehr. Das fanden sie sehr erheiternd. Besser verstanden fühlte ich mich nicht.

Die vielen Vokabeln, das Sprachgewirr in meinem Kopf führte immer wieder zu lustigen, seltsamen und befremdlichen Situationen.

Sehr gelacht habe ich mit MariVi in Andalusien. Bei ihr lernte ich Anfang der 90er Jahre Spanisch intensiv in drei Wochen. Als ich ihr in der zweiten Woche eine Geschichte erzählte, sah sie mich nur verständnislos an, schüttelte den Kopf: Ich hatte zwar eine perfekte spanische Grammatik verinnerlicht, mangels gelernter spanischer Vokabeln aber meinen italienischen und japanischen Wortschatz eingesetzt. Unbewusst.

Ich lernte, die verschiedenen Wörter in ihren kultursprachlichen Kisten zu lassen, büffelte mehr Vokabeln. Vor dem Rückflug am Aeropuerto in Malaga kam ich in die ungewöhnliche Situation, als deutsche Touristin spanisch-japanisch zu dolmetschen:

Ein spanisches und ein japanisches Ehepaar konnten zwar genug Englisch, um sich gegenseitig zu besuchen und ein paar freundlich-oberflächliche Tage miteinander zu verbringen. Als jedoch die Japanerin zum Schluss die Spanierin fragte, ob sie ihr zum Dank etwas aus Japan schicken dürfe, ob sie einen Wunsch habe und die Spanierin erfreut antwortete, dass sie einen Kimono ganz toll fände – da drohte der Besuch in einer Krise zu enden.

Ein Kimono ist in Japan ein kostbares Kleidungsstück und kann leicht den Preis eines Kleinwagens übersteigen. Gemeint hatte die Spanierin jedoch einen Yukata – ein leichtes Sommergewand aus Baumwolle, das sie im Haus als Morgenmantel tragen wollte.

Die Japanerin bot ihr also immer wieder einen Yukata an, die Spanierin aber, da sie das Wort nicht kannte, bestand auf einem Kimono. So viel Geld hatte die Japanerin für ein „Dankeschön“ nicht ausgeben wollen, wagte aber aus Höflichkeit nicht, den Wunsch abzulehnen.

Nun, ich hörte mir das etwas hilflose Hin und Her eine Weile an: Ich saß ja direkt daneben und konnte gar nicht anders, als jedes Wort nicht nur zu hören, sondern auch zu verstehen.

Für die Spanier und die Japaner war ich eine hellhäutige, nordeuropäische Touristin, von der man keine internationalen Sprachkenntnisse erwartete und die man nicht weiter beachtete. Schließlich aber sprang ich dann doch ein, löste die Situation auf. Nach einem ersten ungläubigen Erstaunen wurde es noch richtig nett im spanisch-japanisch-deutsch-englischen Dialog.

Das freut mich immer wieder sehr, wenn ich mit meinem sprachlichen Talent nicht nur zur allgemeinen Erheiterung, sondern sogar zur Völkerverständigung beitragen kann.

Mit den Jahren aber habe ich gemerkt, dass es gar nicht immer an den (Fremd-)Sprachkenntnissen liegt, ob ich verstanden werde oder nicht. Ganz oft ist es einfach (m)eine andere, vielleicht feinere Wahrnehmung, sind es diffizile und subtile Gedankengänge, die ich anderen nur schwer vermitteln kann.

Ein Erfahrungsaustausch in welcher Sprache auch immer ist sehr schwierig bis unmöglich, wenn für die Erfahrungen und Wahrnehmungen der anderen keine eigenen Antennen vorhanden sind.

Mittlerweile erlaube ich mir dann, ein Gespräch auch mal oberflächlich dahinplätschern zu lassen, wenn ich gerade die Kraft dazu habe. Oder zu beenden, wenn es mir zu anstrengend wird. Es muss nicht jede meine Geheimnisse wissen.

So habe ich auch irgendwann aufgehört, die Sprache jedes Landes lernen zu wollen, in das ich reise. Inzwischen freue ich mich sogar darüber und kann es unendlich genießen, mitten in einem mir unverständlichen Gebrabbel zu sitzen. Wenn ich die Belanglosigkeiten der anderen nicht verstehen muss, finde ich das sehr erholsam und kann ganz wunderbar meinen eigenen Gedanken nachhängen.

So wie neulich im Auslandsurlaub: Nix ist schlimmer, als sich schon zum Frühstück vom Nachbartisch her plappernde Ruhrpottweisheiten anhören zu müssen oder sparsam-schwäbisches Gemeckere, dass es dieses oder jenes doch woanders besser und obendrein billiger gäbe. Ich will auch deren Geheimnisse gar nicht wissen! Solcherlei belastet mich, und ich halte mich möglichst fern.

Wie erholsam hingegen, in einem Café zwischen plaudernden Einheimischen zu sitzen, nicht mal Bahnhof zu verstehen außer dem freundlichen Lächeln des Kellners - und in aller Ruhe diese Geschichte zu schreiben.
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